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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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den Stand ihrer bisherigen Erkenntnisse zusammentrugen, war auch nicht leicht gewesen. Von Marco, dem er telefonisch mitgeteilt hatte, daß aus dem Abendessen nichts würde, wußte er, daß Laura gut in San Daniele angekommen sei.
    »Und sonst?« hatte Laurenti gefragt.
    »Nichts sonst.«
    »Wie lange will sie bleiben?«
    »Das hat sie nicht gesagt.«
    Offenbar war niemand in der Wohnung. Laurenti hängte Jacke und Schal an die Garderobe, streifte seine Schuhe ab und ging in die Küche. Auf dem großen Küchentisch standen leere Gläser, ein paar ausgetrunkene Bierflaschen und mehrere Pizzaschachteln. Auf einer lag noch eine halbe Margherita, kalt und labbrig. Er riß ein Stück ab und schob es in den Mund. Was für ein Scheißleben, fluchte er. Keine Frau, keine Kinder, keine Liebe und kein richtiges Essen. Und das am Sonntagabend bei dem grausamsten Dreckwetter.
    Proteo Laurenti nahm eine Flasche Cabernet aus dem Regal und öffnete sie. Er warf die kalte Pizza auf einen Teller, suchte ein Glas und ging ins Wohnzimmer. Er schaltete den Fernseher ein und ließ sich in einen Sessel fallen. Schnell hatte er einige Gläser Wein getrunken. Er fühlte, wie sich sein Körper entspannte, doch seine Gedanken rasten ohne Ende weiter. Immer wieder sah er Fragmente des Anschlags in Contovello vor sich, das Gesicht des Pfarrers, die Tränen der Nachbarn, Laura, wie sie am Morgen im Mantel vor ihm stand, dann die Kloschüssel im »Caffè San Marco« – und schließlich hörte er wieder die Stimme des Anrufers am Nachmittag.
    Es war ihm zum Heulen zumute. Proteo Laurenti rauchte die dritte Zigarette an diesem Tag.

Montagsleben
    Die politische Situation in der Stadt war angespannt. Schon Ende August hatte die Forza Nuova ein internationales Faschisten-Treffen in Triest angekündigt, nachdem die für September in Mailand geplante Zusammenrottung verboten worden war. Deutsche Neonazis und NPD-Anhänger, angeführt vom ehemaligen RAF-Anwalt Horst Mahler, Österreicher, Rumänen, Griechen, Skandinavier, sowie der englische Holocaust-Leugner David Irving wurden erwartet. Die Politiker aus dem rechten Lager, die sogenannten Postfaschisten der Alleanza Nazionale, die Anhänger der Lega Nord und andere spielten die Sache herunter. Forza Italia und andere Nachfolgeparteien der Democristiana hörten weg. Erst im Oktober fiel die Entscheidung im Stadtrat, daß man sie auch in Triest nicht dulden wollte. Die AN und die Leghisten enthielten sich, ein Abgeordneter forderte, daß man dem Verbot nur zustimmen dürfe, wenn man zugleich die extreme Linke verurteile. Und so weiter. Am selben Tag hatten Dario Fo und Franca Rame als gutes Gewissen der Linken die Presse wissen lassen, daß sie bereit seien, an einer Gegendemonstration teilzunehmen. Darüber wunderte sich wirklich niemand. Und unüberhörbar war natürlich auch die abgenutzte Polemik der Rifondazione Comunista und der linken Gewerkschaften. Die Sicherheitskräfte befanden sich in Alarmbereitschaft. Trotz des Verbots würden Neonazis anreisen, doch rechnete man weniger mit Übergriffen auf die Bürger der Stadt, als damit, daß Horden besoffener Skins sich selbst massakrierten. Als könnte es eine »faschistische Internationale« geben! An der Risiera di San Sabba, dem einstigen Vernichtungslager der deutschen Besatzer, waren Wachen postiert, ebenso an der Synagoge. Dort hätte man die Situation im Griff. Schwerer wog die Befürchtung, daß die Stadt, wie schon bei der Ankündigung im Sommer, mit diesem Kainsmal erneut durch die Medien gehen würde. Die Hakenkreuzschmierereien an den Hauswänden nahmen seit Monaten zu, ebenso wie die Plakate mit den extremistischen Parolen, die vorwiegend in der Nähe der Viale XX Settembre in nächtlichen Aktionen angeklebt wurden.
    Seit dem Morgen verfügte man angeblich über sichere Hinweise, daß die Gruppen trotz des Verbots anreisen würden. Die Leiter der Sicherheitskräfte hatten sich wie an jedem der letzten Montage zusammengefunden, um zu diskutieren, wie man sie empfangen sollte. Der Chef der Sondereinheit der Polizia di Stato informierte die Kollegen darüber, daß auch Bewegung ins extreme linke Lager gekommen sei. Allgemein hoffte man darauf, daß die Bora nera die Sache auf ihre Weise regeln würde.
     
    Als Proteo Laurenti kurz nach halb elf ins Büro kam, wartete im Zimmer seiner Assistentin ein älterer Mann, der sogleich von seinem Stuhl aufsprang und auf ihn zuging, bevor Mariella auch nur ein Wort sagen konnte. Laurenti sah

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