Die Toten Vom Karst
Anweisungen zu, die dieser mit der einen Hand am Steuer, mit der anderen am Gashebel umzusetzen versuchte. Der andere Kutter war noch zwölf Meter entfernt. Auch dort lehnten Männer an der Bordwand und hielten Taue in den Händen, so wie Luca, Mario und Giuliano. Die Kutter wurden von den Wellen immer wieder schnell aufeinander zu getrieben, oder schienen plötzlich wieder drei, vier Meter weiter voneinander entfernt als zuvor. Die Gischt überrollte wiederholt das Deck und floß dann langsam nach hinten ab. Immer wieder warfen sie die Taue, die die anderen nicht fangen konnten. Die Schiffsführer wiederholten ihre Manöver. Endlich fingen die Männer das erste Tau. Es mußte schnell gehen, das zweite flog hinüber, die alten Autoreifen an den Bordwänden mußten Schäden verhindern. Luca belegte den Poller immer wieder neu, zog mit aller Kraft an dem Tau. Mit einem heftigen Aufprall knallten die Schiffe von einer großen Welle getrieben gegeneinander und rissen sogleich wieder in der Gegenrichtung an der Vertäuung. Die Männer hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten, doch wußten sie, daß nur wenig Zeit für die Verladung blieb. Die See war zu stürmisch, das Manöver viel zu waghalsig.
Sie hatten sich schon oft an dieser Stelle getroffen, Marasi und Gubian. Der eine kaufte den Fisch vom anderen, bezahlte ohne Quittung in bar und deklarierte ihn in Triest als eigenen Fang. Ein gutes Geschäft für beide, denn Gubian erhielt vom Kollegen aus dem Norden einen höheren Preis, als er in Kroatien erzielen konnte. Sie waren nicht die einzigen, die so arbeiteten. Man konnte es nicht einmal als Schmuggel bezeichnen, was in internationalen Gewässern geschah. Und neben dem Fisch brachte Marasi einige Kisten nach Triest, deren Inhalt den Behörden nicht bekannt werden durfte.
Marasi und Gubian waren alte Feinde, die seit Jahren zusammen arbeiteten. Ihre Rechnung war seit 1943 offen. Gubian war in Marasis Hand, der sich irgendwann noch ganz anders rächen wollte. Er wollte Gubian noch immer umbringen, als er ihn nach fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal und rein zufällig wieder traf. Es war wie ein Gelübde, von dem er nicht mehr wußte, ob er es wirklich abgelegt hatte, und sich deshalb erst recht daran hielt. Es wurde immer stärker, je älter er wurde. Doch dann kam der Tag, an dem er wußte, daß er Gubian benutzen konnte. Als wichtiges Glied in einer Kette, in der er selbst das nächste und seine Tochter Nicoletta das übernächste war, auch wenn sie die Dinge koordinierte. Alles Weitere hatte Aufschub, solange nur Nicoletta davon profitierte.
»Wo ist Gubian?« rief Marasi hinüber, als er erkannte, daß ein anderer Mann im Steuerhaus stand als sonst.
»Er ist nicht da!« rief einer herüber. »Aber wir haben alles dabei.«
»Wo ist er?«
»Weiß ich nicht. Er kommt wieder!«
»Ist er in Triest?«
Alle wußten von dem Bombenattentat in Contovello. Die Medien, auch die jenseits der Grenze, hatten es groß gebracht. Warum also sollte er nicht danach fragen?
»Wo sollte er sonst sein? Wozu willst du das wissen?«
Marasi dachte grimmig daran, daß nun endlich auch Gubian wußte, wie es ist, wenn jemand aus der eigenen Familie umgebracht wird, von Tätern, die man nicht kennt, und wie es ist, wenn man nur einen unbeweisbaren Verdacht hat, der um so heftiger wird, je weniger er Bestätigung findet. Wie damals, als Violetta, seine Schwester, von den Kommunisten ermordet wurde.
»Wie viele Kisten habt ihr?« rief er.
»Fünf, wie bestellt. Aber nur wenig Fisch!«
»Gebt rüber!«
»Hoffen wir, daß es klappt bei dem Seegang!«
»Es muß! Los, macht schon!«
Die Männer des anderen Bootes holten voluminöse weiße Styroporkisten aus dem Laderaum. Langsam hievten sie die erste auf die Bordkante. Sie mußten sich von beiden Seiten weit hinausbeugen, damit keine der Kisten zwischen den Kuttern im Meer landete. Die Bordwände preßten die alten Reifen beinahe platt, wenn die See sie aufeinander zu trieb, und ruckartig öffnete sich kurz darauf wieder der schwarze Abgrund zwischen ihnen. Wenn starke Wellen abrupt auf den ersten Kutter trafen und ihn gegen den anderen krachen ließen, konnten sich die Männer kaum auf den Beinen halten.
Die Verladung dauerte länger als sonst. Marasi hatte am Steuer alle Hände voll zu tun. Er beobachtete den Seegang, steuerte gegen, half mit der Schraube nach und versuchte das Schiff in die See zu stellen – genau so, wie es sein Kollege auf dem anderen Kutter tat. Immer
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