Die Toten Vom Karst
lautstark verkündete – sie sei viel, viel schöner gewesen als alle anderen, doch Objektivität zählte eben nicht. Er sei doch von Anfang an nur wegen dieser abgekarteten Schiebereien der Jury dagegen gewesen.
Livia war mit dem neuen Semester nach Berlin gewechselt. Das Angebot eines Bettengeschäfts in Triest, als Modell zu arbeiten, hatte sie auch ohne den Druck, den ihr Vater ganz bestimmt gemacht hätte, abgelehnt. In Berlin, hatte sie behauptet, könnte sie sich endlich aus den Fängen der Familie befreien. Sie rief einmal in der Woche an, aber Laurenti wollte ihr zuvorkommen, die schlechte Nachricht über den zerstörten Haussegen selbst überbringen. Er hörte Livia, die er offensichtlich geweckt hatte, eintausendzweihundert Kilometer entfernt gähnen. Sie wußte schon alles, Laura hatte bereits angerufen. Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen, die Frauen in seiner Familie hielten wie üblich zusammen. Seine Lieblingstochter Patrizia Isabella erreichte er nicht. Eigenartig, dachte er, um diese Zeit müßte sie doch zu Hause sein. Patrizia Isabella, die sein ganzer Stolz war und die sich an der Universität Neapel eingeschrieben hatte. Sie war sicher schon zur Vorlesung gegangen!
Als Proteo Laurenti endlich ins Büro kam, erntete er einen mißtrauischen Blick seiner Assistentin. Marietta kannte ihn in- und auswendig. Heute konnte Proteo Laurenti nichts mehr vor ihr verbergen. Sie folgte ihm in sein Büro, schloß die Tür hinter sich und setzte sich ihm gegenüber.
»Also erzähl schon«, sagte sie.
Sie wurden nur von einem Anruf gestört. Doktor Galvano teilte ihm mit, daß er die Leichen freigegeben habe, nachdem der alte Gubian bei ihm gewesen war. Die Beerdigung war schon für Mittwoch morgen auf dem Friedhof von Contovello festgesetzt.
Marietta hörte lange zu, versuchte Proteo zu trösten und gab am Ende auch keinen anderen Ratschlag als Galvano und seine Mutter: »Laß sie einfach eine Zeitlang in Ruhe! Und wenn du Hilfe brauchst, kannst du immer auf mich zählen. Egal wofür, Proteo.«
»Von wegen«, dachte er.
Und jetzt mußte er Rossana anrufen, weil er neugierig war.
Sie kicherte kurz als sie seine Stimme hörte. »Ausgeschlafen?« fragte sie.
»Ich fühle mich, wie wenn mich ein Lastwagen samt Anhänger überfahren hätte. Du warst so plötzlich verschwunden, Rossana?«
»Es war Zeit, ich habe heute einen harten Tag. Ich kann auch gar nicht lange sprechen.«
»Und Franco? Wie war die Nacht? Ist er gut?«
Sie kicherte wieder. »Hör mal, Proteo. Wie denkst du von mir?«
»Eigentlich wollte ich dich abschleppen, falls du das nicht gemerkt haben solltest.«
»Hab ich gemerkt, aber glaub mir, es war besser, daß ich allein nach Hause ging.«
»Alleine? Erzähl mir nichts!«
»Vergiß es!«
»Ich kriegs schon noch raus!«
»Stimmt es, daß morgen die Beerdigung der Familie ist?« Sie wechselte schnell das Thema.
»Ja, um zehn Uhr. Weshalb?«
»Macht euch auf was gefaßt. Es kommt ziemlich viel Presse, auch Fernsehen. Gibt es ein Statement der Polizei zum Stand der Ermittlungen?«
»Nur daß wir arbeiten wie die Irren, aber eine heiße Spur noch fehlt. Die Befragung der Dorfbevölkerung ist fast abgeschlossen. Wir suchen nach der Herkunft der Bauteile der Bombe. Die Beschreibung bekommt ihr noch heute vormittag in die Redaktion. Wäre gut, wenn ihr sie abdrucken könntet. Vielleicht meldet sich jemand. Wir klappern alle Geschäfte in der Stadt und der Umgebung ab. Aber ich halte das für aussichtslos, der Täter hat sich das Zeug vermutlich schon seit langem besorgt. Außerdem kannst du gerne reinschreiben, daß die Familie am Sonntag Datteri gegessen hat. Für einen Lebensmittelhändler ist es wohl kein Problem, sich welche zu beschaffen. Und die Familie lebte offensichtlich in einigem Wohlstand.«
»Macht ihr eine Pressekonferenz?«
»Noch nicht, Rossana, das hat noch keinen Sinn.«
»Gehst du zur Beerdigung?«
»Klar. Auch wenn ich’s hasse.«
»Dann sehen wir uns morgen.«
»Vielleicht erzählst du mir dann, was du mit Franco gemacht hast.«
Und wieder lachte Rossana. »Ich werde mich hüten. Bis morgen.«
»Bis morgen.« Er legte auf und wählte Francos Nummer. In der »Trattoria al Faro« meldete sich dessen dreiundsiebzigjährige Mutter, die jeden Mittag die köstlichen Desserts zubereitete. Sie sagte ihm, daß ihr Sohn heute nicht ins Lokal komme. Franco sei krank.
»Nicht zu fassen«, fluchte Proteo Laurenti. »Sie hat ihn krank geliebt.«
*
Als er
Weitere Kostenlose Bücher