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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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gefahren!«
    »Ja.«
    »Sie sind verpflichtet, einen solchen Vorfall sofort zu melden.«
    »Habe ich getan.«
    »Laut Funkprotokoll erst um sechs Uhr zehn.«
    »Ja. Wir waren vorher in internationalen Gewässern.«
    »Warum haben Sie es nicht früher gemeldet?«
    »Wir haben gesucht.«
    »Sie haben weder Rettungwesten an Bord noch eine Rettungsinsel. Das ist gegen das Gesetz.«
    »Wir brauchen das Zeug nicht.«
    »Es ist gegen das Gesetz.«
    »Ich bin vierundsiebzig Jahre alt und fahre seit achtunddreißig Jahren. Wenn mir was passiert, dann soll es so sein. Giuliano war dreiundsechzig und sah das genauso.«
    »Wie lange war er bei Ihnen an Bord?«
    »Seit achtunddreißig Jahren.«
    »Wozu brauchten Sie die Fender?«
    »Alte Reifen, keine Fender.«
    »Wozu brauchten Sie diese?«
    »Für den Notfall, bei Seegang im Hafen.«
    »Die anderen haben keine.«
    »Die fahren auch nicht, wenn es ein bißchen stürmt.«
     
    Um Viertel nach zehn betrat Ugo Marasi das Fischgeschäft seiner Tochter. Der Fang lag ordentlich hergerichtet auf dem Eis der Auslage. Der Laden war voller Menschen. Nicoletta nahm gerade eine große Dorade aus. Sie hatte sie aufgeschnitten, die Eingeweide mit blutverschmierten Fingern herausgezogen und in einen Eimer geworfen. Dann schuppte sie den Fisch. Als sie Marasi sah, gab sie ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, daß er nach hinten in ihr Büro gehen solle. Sie kam wenig später nach.
    »Seine Frau hat mich geohrfeigt!« sagte Nicoletta. Sie war gleich zu Giuliano nach Hause gefahren. Die Frau hatte bereits von einem der Fischer auf der Mole gehört, daß ihr Mann nicht zurückkommen würde. Die Frau hatte ihr nach dieser abrupten, scharfen Ohrfeige den Rücken zugekehrt und gesagt, es sei die Schuld ihres Vaters und sie solle umgehend das Haus verlassen.
    Marasi zuckte die Achseln. »Ich geh später hin«, sagte er und öffnete die Bürotür. »Das war meine letzte Fahrt, Nicoletta.«
    »Was heißt das?«
    »Ich fahre nicht mehr«, sagte Ugo Marasi. »Ich verkaufe den Kutter.« Dann trat er hinaus in den grellen Sonnenschein und ging nach Hause.
    Als Bruna Saglietti ihren Ehemann um vierzehn Uhr aufstehen hörte, zog er seinen einzigen Anzug an und machte sich auf den Weg zu Giulianos Familie. Er hatte nicht geschlafen, sah immer wieder das Bild vor sich, wie Giuliano zwischen den aufeinanderprallenden Bordwänden verschwand. Er mußte gleich tot gewesen sein, zumindest ohnmächtig und dann ertrunken. Er konnte nichts mehr gespürt haben. Und Marasi hörte immer wieder seinen eigenen, markerschütternden Schrei, als er seinen einzigen Freund verlor. »Giulianooooooo!!!«
     
    *
    Der alte Gubian stand seit Stunden hinter einem Auto und wartete. Bruna Saglietti hatte ihn gesehen, als sie sich auf den Weg machte, die Gebühren für die Müllabfuhr zu bezahlen. Die Zahlstelle war nur ein paar Häuser weiter. Vor einigen Tagen hatte sie die Mahnung im Briefkasten gefunden. Die Strafgebühr war saftig, dabei konnte nun niemand behaupten, daß sie viel wegwarf. Sie stapelte doch alles in ihrer Wohnung. Selbst die leeren Thunfischdosen konnten doch einmal noch zu etwas nütze sein.
    Sie sah Gubian auf der anderen Straßenseite, diesen kräftigen Mann in Ugos Alter, der mit unbewegtem Blick auf die Haustür starrte, aus der sie heraustrat. Sie hatte die Klingel in der Wohnung über ihrer läuten gehört, nachdem Ugo zu dieser ungewöhnlichen Zeit ausgegangen war. Der alte Mann stand noch immer da, als sie von ihren Besorgungen zurück kam. Sie bemerkte, wie er sie beobachtete und sah, wie er über die Straße kam.
    »Signora Marasi?« fragte er.
    »Ja. Was wünschen Sie?« Das fragte sie auch immer die Kunden im Kaufhaus.
    »Ich suche Ugo!«
    »Ich weiß nicht, wo er ist.« Bei der Arbeit sagte sie im gleichen Tonfall: »Tut mir leid, das führen wir nicht.«
    »Wann kommt er zurück?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Aber Sie müssen es doch wissen. Sie sind seine Frau.«
    »Um was geht es.« Was sollte sie dem eigentümlichen Fremden mit dem bitteren Blick erklären, was sie selbst nicht begriff? Daß sie Ugos Frau war, aber eigentlich schon lange nicht mehr, daß er zwar im Haus wohnte, aber eine Etage höher? Daß er sie vor vielen Jahren verlassen hatte, aber dennoch nicht richtig weggegangen war? Wer würde das verstehen? Oder glauben? Und was ging das diesen Mann an?
    »Wo war er am Sonntag?«
    »Zu Hause!« Sie wußte es, denn sie hatte ihn in seiner Wohnung gehört. Ugo war nur am Morgen kurz

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