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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Dottoressa Ravno Sie kennenlernt. Signora, neben Ihnen sitzt der Leiter der Kriminalpolizei, Commissario Laurenti, zu seiner Rechten Commissario Lucenti von der Polizia Stradale, dann Commissario …« Er stellte jeden einzelnen mit Namen vor, und jeder blickte die kroatische Staatsanwältin mehr oder weniger offen an. Auch Laurenti nutzte die Gelegenheit. Ihr Parfum hatte er schon gerochen – viel zu fein für eine Staatsanwältin, dachte er. Sie war jung, eigentlich viel zu jung für eine solche Position, außerdem war sie verflucht attraktiv: besonders ihr langer, über den ganzen Rücken reichender, dicker schwarzer Zopf und dieser enganliegende Pullover aus feinem Garn, der ihre Rundungen auch noch betonte. Nichts war so, wie es für eine Staatsanwältin nach Proteos Erfahrung hätte sein dürfen. Laurenti riß sich schnell zusammen und setzte sich wieder ordentlich hin.
    »Ich erwarte von Ihnen, Signori«, hörte Laurenti den Leitenden Staatsanwalt resümieren, »daß Sie die Zusammenarbeit intensiv und unbürokratisch unterstützen werden, damit wir dem internationalen Verbrechen zuvorkommen und die bisherigen Lücken schließen. Die Kollegin wird in den nächsten Tagen mit einigen von Ihnen sprechen und sich informieren wollen. Bitte nehmen Sie sich die nötige Zeit für sie. Dottoressa Ravno, ich hoffe, Sie sind mit meinen Worten einverstanden. Wollen Sie ein paar Worte an die Anwesenden richten?«
    »Danke, sehr freundlich.« Jetzt hörte Proteo Laurenti auch noch ihre Stimme und erschauderte. Sie war hell, nicht hoch, und klar wie der Glockenschlag von Santa Croce. Eigentlich sprach sie wie Laura. »Wie mein Kollege schon sagte, ist dies der Beginn einer neuen Ära.« Die Ravno sprach fast akzentfrei. »Auch wir Kroaten haben begriffen, daß es nur einen Weg gibt: den nach Europa. Der Tod Tudjmans und die neue Regierung haben viel in Gang gesetzt. Dazu gehört auch die Eindämmung der Kriminalität, die uns noch in einer ganz anderen Form als die EU-Länder betrifft. Kroatien ist ein Durchgangsland für alle möglichen dunklen Geschäfte und damit auch Aufenthaltsland derer, die diese organisieren und die alten Strukturen, die zum Teil noch hervorragend funktionieren, gut zu nützen wissen. Wir leiden auch darunter, daß viele intelligente, junge Menschen weggegangen sind ins Ausland, um ihr Talent nicht zu vergeuden. Die kommen nur zurück, wenn das Land anders wird. Ich selbst habe mein Studium in Zagreb abgebrochen und in München fortgesetzt. Mit dem Fall des Tudjman-Regimes ging ich zurück. Meine Familie lebte in Novigrad oder Cittanova, wie die Stadt auf italienisch heißt. Dort bin ich geboren und dort lebt noch heute meine Großmutter. Sie werden also verstehen, daß es mir deshalb auch ein persönliches Anliegen ist, daß die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern gut funktioniert. Außerdem habe ich die Hoffnung, daß die alten Ressentiments für die Jüngeren keine Rolle mehr spielen und sich Grenzen schon bald ganz erledigt haben, wenn die Staatsgebiete offen sind. Ich hoffe sehr, daß wir zusammen schnelle Fortschritte machen. Vor allem die kurzen Wege sind wichtig: Jetzt da wir uns kennengelernt haben, sollte ein Anruf beizeiten kein Problem sein.«
    Normalerweise zeigten die versammelten Polizisten bei offiziellen Reden keine emotionalen Reaktionen, aber diesmal trommelten sie enthusiastisch Beifall. Als der Questore die Sitzung aufgelöst hatte, wollte jeder der Staatsanwältin die Hand schütteln. Nur Laurenti mußte sich das Gequassel des Questore anhören, der nach dem gestrigen Schnee bereits von Skiferien träumte. »Skifahren?« dachte Laurenti. »Um Himmels willen!« Schwimmen im Meer, im Sommer, das wäre ihm lieber. Mit einer Frau wie dieser – er wandte sich um und sah Živa Ravno an der Seite des Leitenden Staatsanwalts den Raum verlassen. »Mit Laura natürlich«, korrigierte er seine Gedanken.
     
    *
    Sie saßen sich schweigend gegenüber. Eliana, Giulianos Frau, wollte ihn zuerst nicht einlassen. Sie hatte die Tür gleich wieder geschlossen, als sie den finsteren Ugo Marasi vor sich stehen sah. Er klingelte nochmals. Wieder und wieder, bis sie endlich aufmachte.
    »Was willst du noch, Ugo?«
    »Mit dir reden, Eliana!«
    Sie spürte, daß er keine Ruhe geben würde. Er folgte ihr durch den Flur ins Wohnzimmer, in dem ein Fotoalbum aufgeschlagen auf dem Tischchen lag. Schwarzweiß-Bilder. Bilder von Giuliano und ihr, als sie jung waren. Sie setzte sich aufs Sofa und schlug

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