Die Toten Vom Karst
es zu. Sie schaute Ugo an, forderte ihn weder auf, Platz zu nehmen, noch sagte sie etwas. Sie schaute ihn lediglich mit haßerfülltem Blick an. Ugo blieb stehen.
»Er war mein Freund«, sagte er.
Eliana schwieg. Diesmal nahm niemand Ugo das Reden ab.
»Ich konnte ihm nicht helfen. Es war zu stürmisch. Ich habe das Tau erwischt, an dem er sich festhielt. Aber er war zwischen die Bordwände geraten. Als ich es zurückriß, war es leer. Leer, verstehst du, Eliana, leer! Ich habe drei Stunden gesucht.« Endlich setzte sich Ugo auf den Sessel ihr gegenüber.
Eliana wich seinem Blick aus und starrte zum Fenster. »Es war deine Schuld. Ich will keinen mehr von euch sehen. Ihr lügt alle!«
Marasi war überrascht. »War Luca hier? Und Mario?«
»Geh, Marasi! Laß mich allein!«
Marasi hatte Mühe, eine Antwort zu finden. Schließlich griff er in die Tasche seines Jacketts und zog einen Umschlag heraus, den er langsam zwischen den Finger drehte. »Ich fahre nicht mehr. Ich werde den Kutter verkaufen.«
Eliana antwortete nicht. Sie schaute ihn nur an.
»Ich werde den Kutter verkaufen. Hier sind dreißig Millionen. Für den Moment, Eliana. Mehr hatte ich nicht. Der Kutter ist über fünfhundert wert. Wenn ich ihn los bin, bekommst du den Rest. Giulianos Anteil.«
»Ich will dein Geld nicht! Geh jetzt.«
»Es ist Giulianos Geld.«
»Nimm es und geh!«
Ugo stand auf, rührte den Umschlag nicht an.
»Bis bald, Eliana. Wann ist die Trauerfeier?«
»Ich will nicht, daß du kommst. Verschwinde jetzt und nimm das verdammte Geld mit. Mörder!«, schrie sie ihn an.
Marasi ging zögernd durch den Flur zur Wohnungstür.
»Ich habe gesagt, du sollt das verdammte Geld mitnehmen«, rief sie und warf den Umschlag hinter ihm her. Marasi ließ ihn auf dem durchgetretenen Läufer liegen, dann schlug er die Wohnungstür mit aller Kraft zu.
Als er auf die Straße trat, wurde er von der grellen Sonne geblendet. Schnell ging er in die nächste Bar, erwiderte den Gruß des freundlichen Mannes hinterm Tresen nicht, sondern knurrte nur drei Wörter, um das Glas Rotwein zu bestellen, das er jetzt brauchte. Eliana hatte ihn schlecht behandelt. Das verdiente er nicht, schließlich brachte er ihr Geld. Geld als Ersatz für Giuliano. Alles was er flüssig auf der Bank hatte, brachte er ihr. Und sie warf ihn raus. Das war nicht gerecht. Er trank das Glas in einem Zug leer und sah plötzlich Luca und Mario am anderen Ende des Tresens stehen, halb verdeckt durch ein paar andere Gäste.
Er bestellte noch ein Glas und drängte sich durch die Gäste zu den beiden anderen hinüber.
»Salve«, Marasi zog die Nase hoch.
»Es ist Ugo.« Luca zog Mario, der mit dem Rücken zu ihm stand, am Ärmel.
»Salve, Ugo«, sagte Mario. »Warst du bei ihr?«
»Ja. Und ihr?«
»Auch. Sie hat uns rausgeworfen.«
»Was wollten sie auf der Capitaneria wissen?«
»Alles und nichts. Nichts Besonderes«, sagte Luca.
»Was habt ihr gesagt?«
»Nichts.« Mario zuckte die Achseln und Luca nickte.
»Dann ist gut.«
»Nichts ist gut! Gar nichts, Ugo.« Mario schaute ihn böse an, er war etwas größer als Marasi und stand ganz dicht vor ihm. »Giuliano ist tot. Es ist deine Schuld.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt! Ich habe keinen von euch gezwungen.«
Luca schob den wütenden Mario ein Stück zur Seite. »Du weißt ganz genau, daß Giuliano alles getan hat, was du wolltest. Er hätte dir nie widersprochen. So einfach kommst du nicht davon, Ugo. Es war deine Schuld, deine, ganz allein deine.«
Zwei Gäste, die neben ihnen am Tresen standen, drehten sich neugierig um. Marasi bemerkte sie, gab ein Zeichen mit den Augen und schwieg. Er stellte das leere Glas auf den Tresen und gab dem Kellner mit einer schroffen Kopfbewegung das Zeichen zum Nachschenken.
»Ich fahre nicht mehr«, sagte er. »Ich verkaufe.«
»Ach so?« Mario schaute wieder auf ihn herab. »Was heißt das?«
»Bist du schwerhörig?«
»Du verkaufst also, wie? Der Kutter gehört uns allen! Das entscheidest nicht du alleine, Ugo.«
»Mir ist egal, was du denkst, Mario!« Marasi hatte sich noch von niemandem in seinem Leben einschüchtern lassen, nicht einmal von den Maschinengewehren der jugoslawischen Armee, als er im Juni 1954 mit zwei anderen jungen Kerlen in einem Ruderboot über die stürmische See nach Italien geflüchtet war. Sie hatten ihn als Faschisten bezeichnet, weil er nicht in die Partei eintreten wollte, sagten, »wer nicht für uns ist, ist gegen uns«, und drohten,
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