Die Toten Vom Karst
von seinem Standpunkt ab. »Wir wissen nichts, und wir kommen nur weiter, wenn wir das zugeben. Wir brauchen mehr Unterstützung aus der Bevölkerung. Bisher ersticken wir unter einem unendlichen Wust an unnützem Geschwätz.«
»Dann verkaufen Sie das wenigstens besser, Laurenti!« entgegnete der Stellvertretende Staatsanwalt. »Ich möchte nicht, daß uns irgendwann vorgeworfen wird, wir würden zu wenig tun.«
Dieser Morgen war der Moment dafür. Drei Fernsehanstalten hatten Teams geschickt, und auch die Reporter der anderen Medien waren unübersehbar. Trauernde und Schaulustige standen dicht aneinandergedrängt in der kleinen Kirche, auf den Stufen des Eingangs und auf dem Platz davor, obgleich die Messe erst in einer Stunde begann. Vor den Trümmern des Hauses der Familie Gubian lagen unzählige Blumensträuße aufgehäuft. Uniformierte Beamte der Dienststelle in Opicina hatten sich unter die Trauernden verteilt. Irgendwo erkannte Laurenti den roten Haarschopf Rossana di Matteos, die sich durch die Menschen drängte und auf ihn zusteuerte. Sie begrüßten sich an diesem Morgen ohne den üblichen Wangenkuß.
Gleich nach Rossana hatten sich auch andere Journalisten bei ihm eingefunden und ihn sofort in wildem Durcheinander mit Fragen bombardiert. Er kannte das: Versuchte er sich auch nur auf eine einzige zu konzentrieren, dann machte er eine schlechte Figur. Es war nicht einmal darauf zu hoffen, daß die Journalisten endlich schwiegen. Das war nicht ihre Aufgabe. Also mußte Laurenti etwas sagen. Er richtete dabei seinen Blick an allen vorbei.
»Die Bauart des Sprengsatzes ist uns gut bekannt. Die Ermittlungen konzentrieren sich derzeit darauf. Fast dreißig Beamte sind in die Untersuchung involviert. Wir haben die Bürger von Contovello befragt: aber es findet sich kein Motiv. Wir brauchen mehr Unterstützung durch die Bevölkerung. Auch der kleinste, noch so unwichtig erscheinende Hinweis ist wichtig. Das Bild der Familie ist makellos. Wer bringt eine solche Familie um? Es muß jemanden geben, der uns das sagen kann. Ich fordere ihn im Namen der Toten, der Angehörigen und im Namen der Gerechtigkeit auf, ich flehe ihn geradezu an, sich bei uns zu melden, damit wir den Täter schnell finden.«
Nach fünf Minuten brach das Fragenbombardement schlagartig ab, die Limousine des Bürgermeisters war vorgefahren. Die Journalisten stürzten sich auf ihn.
Als die Kirchturmglocken zu läuten begannen, sahen sie den Pfarrer und den alten Gubian, die sich durch die Menge einen Weg zur Kirche bahnten.
Laurenti und Sgubin waren während der Messe auf dem Kirchplatz geblieben. Sie schauten sich um, studierten die Gesichter der Menschen, suchten nach irgend etwas Auffälligem. Aber es gab nichts, was nur den kleinsten Hinweis barg.
»Scheußlicher Fall.«
Proteo Laurenti zuckte zusammen, als er mit diesen Worten angesprochen wurde. Er hatte sie nicht gesehen und drehte sich erschrocken um. Hinter ihm stand die kroatische Staatsanwältin, an deren Namen er sich schon nicht mehr erinnerte.
»Was machen Sie denn hier?« Er wunderte sich wirklich.
»Reine Neugier«, antwortete sie leise. »Wegen dieser Beerdigung habe ich heute früh keine Termine.«
»Ja, viele der Kollegen sitzen jetzt wahrscheinlich vor dem Fernseher. Eine schreckliche Geschichte.« Sie war fast so groß wie Proteo Laurenti. Er blickte direkt in ihre dezent geschminkten, leuchtenden Augen.
»Wissen Sie schon etwas?«
»Nichts, absolut nichts. Wir haben noch nicht einmal die geringste Ahnung eines Motivs.«
Sie hörten, wie in der Kirche die Orgel aussetzte.
»Ich glaube, diese Leute kamen einmal aus dem gleichen Ort wie meine Familie.«
»Ach ja?« Laurenti wurde hellhörig. »Sie sagten, Sie stammen aus Cittanova?«
»Aber ich erinnere mich nicht an sie. Meine Eltern zogen weg, als ich zwei Jahre alt war.«
»Der Alte kommt aus Pola! Von Cittanova hat er nichts gesagt.«
»Vielleicht sind es ja auch andere Leute.«
»Ich gehe hoch zum Friedhof«, sagte Laurenti, als er hörte, daß die Messe dem Ende zu ging.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie. Sagen Sie mir nochmal Ihren Namen?«
»Laurenti. Proteo Laurenti«, sagte er und sah wie sie lächelte. Aber sie erwähnte das kleine weiße Tierchen tief unten im Karst mit keinem Wort. »Und Sie?«
»Živa Ravno«, antwortete sie.
Unter den Blicken von Antonio Sgubin und Rossana Di Matteo gingen sie langsam die enge Straße empor. Sgubin folgte ihnen in gehörigem
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