Die Toten Vom Karst
freundlicherweise benachrichtigen, wenn die Herren gegangen sind.« Und zu den Fischern sagte er: »Wir können selbstverständlich auch zu Ihnen nach Hause kommen, um Sie zu befragen, Signori. Aber dann würden wir mit dem Streifenwagen vorfahren und aus Versehen die Sirene einschalten, damit auch ihre Nachbarn uns hören. Sie haben die Wahl.«
Orlando brachte ihn bis zur Tür. »Dann viel Spaß mit den Typen. Wir faxen dir das Protokoll. Und wenn du mit ihnen durch bist, wäre ich dir für einen Anruf dankbar, wies gegangen ist. Vielleicht bekommst ja du etwas aus ihnen heraus.«
*
Der Regen hatte aufgehört. In einer halben Stunde sollte Nicoletta Marasi in seinem Büro auftauchen, sofern es Marietta geglückt war, sie davon zu überzeugen. Nach der Szene am Vormittag war ihr durchaus zuzutrauen, daß sie nicht kam. Laurenti entschied, den Wagen auf dem Parkplatz der Capitaneria stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen, dann könnte er auch noch Tozzi in der Guardia di Finanza besuchen. Es wäre ein kleines Zeichen, daß er einsah, ihn in der Sitzung schlecht behandelt zu haben.
Proteo Laurenti überquerte die Riva Tre Novembre und ging am Canal Grande entlang, an dem heute nur noch kleine Fischerboote lagen, die winzig genug waren, damit ihre Eigner auch bei Flut unter der niedrigen Ponte Verde ins Meer hinausfahren konnten, wenn sie sich flach ins Boot legten. Laurenti ging gerne hier entlang. Eine Seite des Canal Grande wurde von dem mächtigen Palazzo Carciotti dominiert, mit sechs ionischen Säulen und der Kupferkuppel über der Hauptfassade. Er hatte einmal gehört, daß der griechische Kaufmann Demetrio Carciotti, der ihn bauen ließ, um 1750 mit der Hälfte des ägyptischen Staatsschatzes nach Triest durchgebrannt war und das Geld eifrig in die Stadtentwicklung investierte. Viele kannten diese Geschichte, doch niemand konnte ihm eine Quelle nennen, aus der dies zuverlässig hervorging. Andere wiederum sagten, es sei nicht Carciotti sondern der Baron Revoltella gewesen, der das Geld in den Bau des Suez-Kanals investierte. Aber die Geschichte leuchtet ein: Finanzverbrechen paßten viel mehr zu einer Hafen- und Handelsstadt, als diese eigenartigen und oft genug absurden Mordfälle, mit denen er sich immer wieder herumschlagen mußte.
Ein Stück weiter hatten Arbeiter bereits damit begonnen, Häuschen für den Weihnachtsmarkt aufzubauen, und vor Sant’ Antonio sollte zum ersten Mal eine Kunsteisbahn errichtet werden. Die Stadtverwaltung hatte sich damit gebrüstet, daß dies eine außerordentliche Initiative für die Jugendlichen sei. Proteo Laurenti war noch nie in seinem Leben Schlittschuh gelaufen und fragte sich, wozu es gut sei, stundenlang auf dem selben Fleck im Kreis zu fahren. Es wäre doch viel besser, wenn man das Geld investierte, um den oberen Teil des Kanals wieder zu öffnen, der in den dreißiger Jahren aus unerfindlichen Gründen zugeschüttet worden war.
Er warf vorsichtig einen Blick in die Via XXX Ottobre, wo ihm jederzeit Nicoletta über den Weg laufen konnte. Dann ging er eilig in den Palast der Guardia di Finanza, ließ sich anmelden und nahm bis in den zweiten Stock immer zwei Treppen auf einmal. Tozzi erwartete ihn bereits im Flur.
»Entschuldigen Sie, daß ich einfach so vorbeikomme. Ich war gerade in der Nähe und wollte Sie fragen, ob die Guardia di Finanza in der letzten Zeit mit den Fischern am Molo Venezia zu tun hatte.«
»Immer wieder. Warum?«
»Reine Neugier. Es geht um diesen Marasi und seine Leute.«
»Im großen und ganzen handelt es sich um die üblichen Routineüberprüfungen, um die Herrschaften zum Steuerzahlen anzuhalten. Sonst machen die nur noch schwarze Geschäfte. Wir überprüfen die Besatzungen regelmäßig und auch morgens die Versteigerungen des Fangs. Aber Außergewöhnliches gibt es zur Zeit leider nicht zu melden.«
»Diese Familie in Contovello …«
»Gubian! Deren Vater ich in den Kerker werfen sollte, wenn es nach Ihnen gegangen wäre …«
»Diese Leute haben Datteri gegessen. Der einzige Schatten auf ihrem Leben. Wie kommt das Zeug nach Italien? Ich frage mich, ob nicht die Fischer die Muscheln reinschmuggeln.«
»Kaum. Es gibt einen ausgeprägten Schmuggel, aber nach unseren Ermittlungen immer über den Landweg. Erst vor drei Tagen haben wir am Grenzübergang Muggia einen Kroaten hochgenommen, der im Kofferraum siebenunddreißig Kilo Jakobsmuscheln rüberbringen wollte. Oder eine Woche vorher am Übergang Rabuiese zwei Slowenen mit
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