Die Toten Vom Karst
sagt, es sei nicht so schlimm, es dauere höchstens zehn Tage, bis das Zahnfleisch wieder verheilt ist. Bis dahin soll ich möglichst Suppen essen. Aber ich hasse Suppen! Na ja, es wird schon vorbeigehen. Das Stückchen Zahn hat er übrigens gleich ersetzt.«
Nicoletta Marasi schwieg. Marietta brachte auf einem kleinen Tablett Kaffee und Zucker.
»Vielen Dank, mein Engel«, sagte Laurenti in gespielter Fröhlichkeit und zog seinen Stuhl an den Tisch.
»Signora Marasi«, begann er förmlich. »Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie kommen.«
Nicoletta schwieg.
»Sie sind dazu nicht verpflichtet. Es handelt sich lediglich um eine Befragung.«
»Ich weiß. Aber es geht schließlich um meinen Vater.«
»Eben!« Laurenti war sich noch nicht sicher, ob sie kooperieren würde. »Sie haben heute morgen einen klaren Verdacht formuliert, wer Ihren Vater ermordet hat. Würden Sie ihn bitte wiederholen?«
»Und warum? Ich habe es schon heute früh gesagt.« Nicoletta rührte langsam den Kaffee um.
»Ach nur so. Manchmal überlegt man es sich ja nochmal. Sind Sie jetzt anderer Meinung? Also wen haben Sie im Verdacht?«
»Gubian!«
»Und weshalb?«
»Auch das habe ich schon gesagt. Er war ein Feind meines Vaters. Er hat damit gedroht, ihn umzubringen!«
»Woher wissen Sie das?«
»Er sagte es meiner Mutter.«
»Sie waren dabei, haben es gehört?«
»Nein.«
»Wann?«
»Dienstag nachmittag. Er wartete vor dem Haus auf sie.«
»Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Besser. Sie wurde aus dem Krankenhaus entlassen und ist zu Hause. Sie ist krank geschrieben und nimmt Beruhigungsmittel.«
»Weshalb wollte Gubian Ihren Vater ermorden?«
Nicoletta warf den Löffel auf die Untertasse. »Ich habe es schon gesagt, aber wenn Sie darauf bestehen, dann wiederhole ich auch das. Gubian ist der Meinung, daß mein Vater seinen Sohn ermordet hat. Aus Rache.«
»Wo war Ihr Vater am Sonntag nachmittag.«
»Zu Hause.«
»Waren Sie bei ihm?«
»Nein. Aber wir haben telefoniert.«
»Wann, um welche Uhrzeit?«
»Nach fünfzehn Uhr?«
»Und wo waren Sie?«
»Ebenfalls zu Hause.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
Nicoletta schaute ihn erstaunt an.
»Nein, Sie müssen es mir nicht sagen, nur wenn Sie wollen?«
»Ich habe ihn gefragt, ob er rausfährt. Es lag eine große Bestellung eines Kunden vor. Aber die Bora nera tobte. Es war unmöglich, zu fahren.«
»Er fuhr in der Nacht von Montag auf Dienstag. Als einziger. Er verlor einen Mann. Kannten Sie ihn?«
»Ja, natürlich.«
»Was war passiert?«
»Ein Unfall. Giuliano verlor das Gleichgewicht und ging über Bord. Sie haben ihn nicht mehr gefunden.«
»Halten Sie es für plausibel, daß ein alter, erfahrener Fischer einfach so über Bord geht?«
»Es wird so gewesen sein, wie es mein Vater und die anderen gesagt haben. Ein jeder hat seine Zeit, egal wie erfahren er ist.«
»Kennen Sie die anderen aus der Besatzung?«
»Ich kenne alle.«
»Glauben Sie, daß Ihr Vater etwas mit dem Sprengstoffanschlag in Contovello zu tun hat?«
»Nein. Ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Würden Sie es ihm grundsätzlich zutrauen?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Eindeutig nein. Wenn, dann hätte er direkt mit Gubian abgerechnet und wahrscheinlich schon viel früher. Vor allem mit dem Alten selbst. Mein Vater hat noch nie eine Auseinandersetzung gescheut. Dafür respektierte man ihn.«
»Der Kutter Ihres Vaters wurde nach dem Unfall vorübergehend beschlagnahmt und seine Lizenz eingezogen. Fehlt Ihnen da nicht die Ware für Ihr Geschäft?«
»Nein. Sie ist lediglich teurer. Fisch gibt es genug, aber ich muß jetzt alles ersteigern, wie die anderen auch. Zuvor betraf das nur einen Teil.«
»Wo war Ihre Mutter eigentlich am Sonntag nachmittag?«
»Zu Hause. Erinnern Sie sich nicht an das Wetter? Bora nera! Da ist doch niemand aus dem Haus gegangen, wenn er es vermeiden konnte.«
»Derjenige, der die Familie Gubian in die Luft jagte schon. Aber dann kann Ihre Mutter ebenfalls bezeugen, daß auch Ihr Vater zu Hause war.«
Nicoletta rutschte unruhig auf dem Stuhl herum, veränderte ihre Position mehrfach, bis sie schließlich sagte: »Ja. Sie wird es wohl bezeugen können.«
»Ganz entschieden klingt das nicht, Signora Marasi! Haben Sie Zweifel, daß Ihr Vater doch damit zu tun haben könnte?«
»Ich sagte es bereits: nein! Aber was Sie von meiner Mutter wissen wollen, müssen Sie sie selbst fragen.«
»Möchten Sie dabei sein, wenn wir mit Ihrer Mutter sprechen?«
»Nein.
Weitere Kostenlose Bücher