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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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zuwarfen, wenn er gar nicht erst ihre zögerlichen, verschwommenen Antworten abwartete. Sie hielten es für eine Falle. Laurenti hingegen war der Meinung, es lohnte nicht, die Zeit mit ihnen zu verschwenden, weil ihre Antworten so sehr denen der anderen glichen, die diesen Beruf ausübten. Auch sie mußten fast eine halbe Stunde im Flur warten, denn zunächst wollte er mit seinen Töchtern sprechen. Livia klagte darüber, wie kalt und dunkel es in Berlin sei. Es war ihr erster Winter, den sie in dieser Stadt verbrachte.
    »Um halb vier, Papà, ist es hier schon dunkel. Stell dir das vor.« Wenigstens machte ihr das Studium Spaß, wenngleich die Wege durch die Stadt ewig lang und die Gehwege voller Hundescheiße waren. Und irgendwann fragte sie ihn endlich, ob er sich vorstellen könnte, sich mit ihrer Mutter zu versöhnen.
    »Was glaubst du denn?« Laurenti wunderte sich über diese Frage. Er hatte keine Nacht gut geschlafen, seit Laura weg war. Entweder ersäufte er seinen Kummer oder er wälzte sich von wirren Träumen geplagt im Bett und fiel erst gegen Morgen in einen bleischweren und wenig erholsamen Schlaf.
    »Man weiß ja nie«, sagte Livia. »Manchmal läuft einem schneller als man denkt jemand anderes über den Weg.«
    Auch Patrizia Isabella freute sich, die Stimme ihres Vaters zu hören.
    »Stell dir vor, man hat mich in die Grabungsgruppe in Pompei aufgenommen, die einen neuen Schnitt übernimmt, weil endlich ein Supermarkt, der dort stand, abgerissen wird. Im Frühjahr geht’s los. Außerdem habe ich eine Auszeichnung bekommen für ein Referat!«
    »Toll! Was war das Thema?«
    »Ein Vergleich der Rolle der Prostituierten im Römischen Reich und heute.«
    Proteo Laurenti räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
    »Ein schönes Thema«, sagte er lau.
    »Ganz schön spannend, Papà. Augustus war der Meinung, die Römer stürben mit der Zeit aus, weil zu viele Männer zu Prostituierten gingen oder Konkubinen hatten, anstatt sich zu verheiraten und Kinder zu zeugen. Um den Wert der Familie zu erhöhen, dachte er sich ein System von Belohnung und Strafe aus. Väter von drei Kindern zum Beispiel wurden schneller befördert.«
    »Das gilt heute leider nicht mehr«, murmelte Proteo.
    »Anderes leider auch nicht: zum Beispiel wurde ein altes Gesetz abgeschafft, das Männern erlaubte, ehebrecherische Ehefrauen umzubringen. Dafür erließ der Kaiser ein Gesetz, das Männer bestrafte, die sich nicht von ihren ehebrecherischen Gattinen scheiden lassen wollten.«
    »Guter Kaiser!« Er stöhnte gequält auf. Wenn das heute noch so wäre, würde man ihn degradieren, nur weil er zu Laura hielt. Patrizia Isabella wußte bestimmt nicht, was sie ihm mit ihrem neu erworbenen Wissen antat.
    »Das bedeutete dann, daß mit der Zeit die Prostituierten immer mehr an Ansehen verloren, bis heute. Obgleich sie doch eine wichtige gesellschaftliche Funktion haben. Das Ansehen einer Prostituierten heute kann man doch nur noch mit einem Papiertaschentuch vergleichen. Einmal hineingerotzt und dann weggeworfen.«
    »Patrizia!« Er fuhr auf. »Hoffentlich hört außer mir keiner mit!«
    »Reg dich nicht auf! Ich nenne die Dinge nur beim Namen, so wie sie nun mal sind.«
    »Und woher weißt du das alles«, fragte er nach einem kurzen Schweigen.
    »Von der Situation heute weiß ich natürlich viel durch dich, und der Rest ist eigene Forschung. Und Pompei ist leicht zu erfassen, vor allem seit die Erotika im Archäologischen Nationalmuseum wieder zugänglich sind. Die solltest du sehen! Wundervoll!«
    »Und was treibst du sonst noch neben der Prostitutionsforschung?«
    »Ich gehe viel mit meinen Freunden aus. Es ist toll hier. Viel vitaler als in Triest. Und was macht ihr?«
    »Ich habe verdammt viel zu tun, und Marco lernt chinesisch. Es ist hart ohne deine Mutter! Hast du was von ihr gehört?«
    »Ja, ja.«
    »Und was sagt sie? Geht es ihr gut?«
    »Einigermaßen. Sie macht sich Sorgen.«
    »Worüber?«
    »Worüber wohl? Das ist keine einfache Situation für sie, wie du dir vorstellen kannst.«
    »Ich mir? Stellt sich vielleicht auch irgendwann einmal jemand vor, wie es mir geht?! Ist sie allein?«
    »Nein, natürlich nicht …« Laurenti zuckte zusammen und schlug auf die Tischkante, daß ihm der Schmerz im Handballen stecken blieb. »Sie ist doch bei Oma, was denkst denn du?«
    »Na ja! Man macht sich eben so seine Gedanken.«
    »Meinst du, du könntest dich mit Mamma versöhnen, wenn sie

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