Die Toten Vom Karst
Weshalb?«
»Ich hätte nichts dagegen. Sie scheint sehr angegriffen zu sein.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Sie ist viel zäher, als man glaubt.«
»Kommen wir nochmals auf Gubian zurück. Wissen Sie, wo er wohnt?«
»In Pola.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nein. Und ich hatte auch nie das Bedürfnis!«
»Hatte Ihr Vater Kontakt zu ihm?«
»Nein. Sie sind sich vor vielen Jahren zufällig begegnet. Das hatte Papà damals sehr mitgenommen – ich war noch sehr klein, aber erinnere mich trotzdem noch daran. Mein Vater ist nach 1954 nie mehr dorthin zurückgekehrt. Er hat hier ein neues Leben aufgebaut. Gubian lief ihm in Triest über den Weg, wenn ich mich richtig entsinne.«
»Was passiert jetzt mit dem Kutter?«
»Nach dem Gesetz sind meine Mutter und ich die Erben. Ich werde ihn übernehmen.«
»Wenn ich richtig informiert bin, gehörte er Ihrem Vater nicht alleine.«
Nicoletta horchte auf und versuchte mit einem scharfen Blick zu taxieren, wieviel Laurenti von solchen Dingen verstand. »Mein Vater hatte den größten Anteil. Ich werde die anderen ausbezahlen.«
»Ich nehme an, das ist nicht gerade billig.«
»Wozu gibt es Banken?«
»Und warum wollen Sie die anderen draußen haben? Das ist doch ein eingespieltes Team.«
»Mein Vater wäre selbst nicht mehr gefahren, nach dem Tod Giulianos. Er sagte es mir gleich am Dienstag morgen. Ich verstand diese Entscheidung nicht, aber er wollte sie nicht diskutieren. Von vier Männern sind jetzt zwei übrig, die alt sind. Was soll ich mit denen? Es ist besser, eine neue Mannschaft aufzubauen und von vorne anzufangen. Die Leute habe ich. Wir könnten gleich anfangen, sobald die Bürokratie erledigt ist und ich mit den anderen einig bin.«
»Ist das wirklich lukrativ, Signora? Ich meine, bleibt da wirklich so viel hängen?«
»Und ob! Gehen Sie einmal an den Molo, wenn die anderen Eigner kommen. Die fahren Mercedes. Fast jeder hält sich eine Geliebte. Meinen Vater hat das nie interessiert. Er fuhr aus Leidenschaft, nicht wegen Geld. Und wenn Sie Ihr eigener Lieferant sind, dann rechnet sich das noch besser.«
Laurenti wunderte sich, denn auch Nicoletta schien sich aus Geld nicht viel zu machen. Er wußte, daß sie einen Fiat Panda fuhr, und daß sie keine Unsummen für Kleidung ausgab, war unschwer zu übersehen. Aber vielleicht führte sie ja ein Doppelleben. Er zuckte die Schultern und schaute auf seine Uhr. Luca und Mario mußten bereits draußen warten.
»Der Umgang unter den Fischern ist nicht gerade freundschaftlich. Die Konkurrenz scheint hart zu sein. Können Sie sich vorstellen, daß es einer von ihnen war?«
»Das weiß ich nicht. Es gab immer Streit zwischen ihnen. Nicht nur mit meinem Vater. Alle gegen alle. Aber das ist normal. Sie müssen wissen, daß sie trotzdem eine eingeschworene Gemeinde sind. Mein Vater hat niemandem etwas weggenommen. Also, weshalb sollte ihn dann jemand umbringen?«
»Es gibt noch tausend andere Gründe als Geld. Ehre, Eifersucht, Konkurrenz ums Personal oder den Platz an der Mole und so weiter. Wir werden mit allen sprechen. Irgendwas wird sich ergeben.«
»Es war Gubian! Niemand sonst! Verhören Sie ihn. Alles andere können Sie vergessen.«
Laurenti hatte keine Lust mehr, sich dieses alte Lied noch einmal anzuhören. Er hatte noch vom Vormittag genug. Instinktiv faßte er sich wieder an die Wange. »Das ist bereits veranlaßt. Wir werden mit Gubian sprechen. Das war’s für heute, Signora. Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben. Wir werden aber später mit Sicherheit noch weitere Fragen haben.«
Nicoletta stand auf und reichte ihm die Hand. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich heute früh die Nerven verloren habe. Es war nicht so gemeint.«
»Schon vergessen. Jeder hat seine eigene Art zu trauern.« Soviel Freundlichkeit dieser eigenartigen Person überraschte Proteo Laurenti in der Tat.
Als er Nicoletta Marasi in den Flur führte, saßen die beiden alten Fischer schweigend nebeneinander auf den orangefarbenen Plastikstühlen an der Wand gegenüber. Sie schauten Nicoletta an, ohne daß sich etwas in ihren Gesichtern bewegte. Sie warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. »Montag«, sagte sie. »Überlegt es euch gut.«
*
Die einzige Person, die Proteo Laurenti an diesem Nachmittag nicht warten ließ, war Živa Ravno. Dafür wartete er ab siebzehn Uhr ungeduldig darauf, daß sie endlich auftauchte. Die beiden Fischer hatte er so zügig befragt, daß sie sich immer wieder fragend Blicke
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