Die Toten von Bansin
das Verhältnis endlich beendet? Oder hat sie nun schon zwei Kerle gleichzeitig? Zuzutrauen wäre es ihr.â¹
Am Stammtisch wird es laut. Plötz ist nach dem Mittagessen dort gleich sitzen geblieben und hat inzwischen so viel Grog getrunken, dass er nur noch plattdeutsch reden kann, was er in nüchternem Zustand Fremden gegenüber gern vermeidet.
Berta sieht ihn besorgt an. »Ich werde dir mal noch was zu essen holen«, beschlieÃt sie und geht in die Küche. Kurz darauf stellt sie einen tiefen Teller vor ihn auf den Tisch. »So, hier. Das isst du jetzt und dann trinkst du erst mal einen Kaffee.«
Der Fischer blinzelt Steffi vergnügt zu. »Die denkt, ich bin dun«, flüstert er laut. Dann sieht er auf den Teller. Fischstücke, aus denen Gräten herausragen, und gekochte Kartoffeln schwimmen in einer weiÃen SoÃe. Fasziniert sieht Steffi zu, wie der Mann einen Löffel nimmt, sich ein groÃes Stück Fisch in den Mund schiebt, nach einigen Kaubewegungen den Löffel wieder vor den Mund hält und die Gräten darauf spuckt. Gehorsam isst er den Teller leer, weigert sich aber, etwas anderes als Grog zu trinken und wird, obwohl Sophie den Schnapsanteil zugunsten des Wassers verringert, immer lustiger.
Steffi versteht kaum noch, was er sagt, und Berta betätigt sich als Dolmetscher.
»Watt ick sein heff, kann ick seggen und de Faken kümmen utân Moors oder dicht dorbi«, spricht Plötz gerade mit ernster Miene und Berta schüttelt den Kopf.
»Das will ich nicht übersetzen«, erklärt sie Steffi, »das ist eine Redensart. Aber ist doch komisch«, wendet sie sich an den Fischer, »dass sich das auf hochdeutsch immer viel gemeiner anhört, als auf platt. Ich meine, âºmi lickst anân Moorsâ¹ klingt doch auch nicht böse.«
Plötz nickt mit dem Kopf, ohne überhaupt zu verstehen, wovon die Frau spricht.
âºBlödes Volkâ¹, denkt Jenny, âºwarum muss ich mir dieses Gequatsche hier eigentlich anhören?â¹
Ãrgerlich sieht sie zu Arno, der sie völlig ignoriert, ungeniert mit Sophie flirtet und auch mit Anne scherzt. Jenny fühlt sich als AuÃenseiter. Sie kann für niemanden hier auch nur die geringste Sympathie aufbringen. Selbst Christine Jahn, die mit am Stammtisch sitzt, scheint sich dort wohl zu fühlen.
»Das habe ich mit eigenem Fleisch und Blut erlebt«, behauptet Anne gerade. Jenny zwingt sich, in das Lachen von Sophie und Arno einzustimmen und denkt: âºDie ist ja noch bescheuerter als die anderen.â¹ Sie wird immer wütender. Ihr ist noch nie so bewusst gewesen, wie wenig sie hierher passt. Während sie an ihrem Weinglas nippt und sich bemüht, dem Gespräch zu folgen, um an den richtigen Stellen zu lachen, schmiedet sie in Gedanken Rachepläne.
Ein kleiner Unfall wäre doch schön, jetzt so kurz vor Weihnachten. Sie sieht Sophie schon im Krankenhaus liegen, während in der Pension alles drunter und drüber geht. Natürlich würde sie gern einspringen, aber ob das für Sophie von Vorteil wäre? Unwillkürlich muss sie lächeln. Vielleicht sollte man am Auto etwas manipulieren. Aber nein, zu gefährlich. AuÃerdem versteht sie gar nichts von Autos.
»Ich muss das Schild noch reinholen«, fällt Sophie gerade ein und Arno rutscht von seinem Barhocker. »Ich mache das schon.«
Er geht zur Tür, die zur Strandpromenade führt. Jenny sieht ihm hinterher.
»Hast du eigentlich Gäste?«, fragt sie dann, aus ihren Gedanken heraus.
Sophie schüttelt zögernd den Kopf. Was hat diese Frage zu bedeuten? Hat Jenny wieder etwas vor?
»Nein, noch nicht. Morgen kommen zwei Familien und dann am Wochenende noch eine. So langsam beginnt das Weihnachtsgeschäft.«
»Wird ja auch Zeit«, gibt Jenny sich betont interessiert. »Der November ist immer furchtbar, bei mir ist es genauso.« Sie plaudert munter weiter, während sie sich im Stillen zu einer neuen Idee gratuliert.
Auch in der Seeresidenz sind die ersten Gäste eingetroffen â und schon wieder abgereist. Genauer gesagt haben sie den Ort nicht verlassen, sondern nur das Haus und wohnen jetzt in einem anderen Hotel. Dort erzählen sie jedem, der es wissen will oder auch nicht, von den unhaltbaren Zuständen in ihrer gebuchten Unterkunft.
Alexander Brinkmann inspiziert sein Haus. Er geht von Zimmer zu Zimmer, wortlos, blass, zeitweise ballt er
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