Die Toten von Bansin
Treppe hängt Manfreds roter Pullover. Sie nimmt ihn in die Hand und schluckt. Dann geht sie energisch in den Hauswirtschaftsraum und steckt das Kleidungsstück direkt in die Waschmaschine. Schnell gibt sie Waschpulver in das Fach und Weichspüler. Sie zögert einen Moment, zerrt den Pullover wieder aus der Maschine, zieht sich im Flur im Vorbeigehen eine Jacke über und öffnet die Haustür. Kurz sieht sie nach rechts und links, niemand ist zu sehen. Schnell geht sie die paar Schritte zur Mülltonne, stopft den Pulli hinein und atmet auf.
Unter der Dusche versucht sie sich das Geschehene zu erklären. Sie erinnert sich genau, den Pullover gestern Abend in der Wäschetruhe gesehen zu haben. Sie hat wohl doch zu viel getrunken. Erst ein Grog während des Spaziergangs, dann noch das Bier zu Hause. Na ja, gegessen hat sie nicht viel. Sicher war sie betrunken, dann hat sie wieder an den Pullover gedacht und ihn aus dem Korb genommen. Vielleicht wollte sie ihn mit nach oben nehmen â was einem im Suff eben so einfällt. Kein Grund zur Panik. Sie hat schon manchmal Dinge gemacht, die sie sich in nüchternem Zustand nicht erklären konnte.
Trotzdem hat sie ein flaues Gefühl im Magen, als sie die Treppe wieder hinuntergeht. Sie blickt ins Wohnzimmer und kann nichts Ungewöhnliches feststellen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, öffnet sie die Tür zum unteren Bad, das ihr Mann immer benutzt hat. Sie hat es nach seinem Tod noch nicht betreten. Ungläubig und erschrocken sieht sie zur Duschwanne. Es steht Wasser darin und darauf schwimmt eine gelbe Gummiente, ein Kinderspielzeug, das sie noch nie im Haus gesehen hat. Christine bekommt eine Gänsehaut und schlieÃt die Tür schnell wieder.
Als sie zur Küche geht, rechnet sie schon fast damit, dass der Kühlschrank wieder mit Flaschen und Gläsern gefüllt ist. Aber dann bleibt sie entsetzt an der Tür stehen. Auf dem Küchentisch, an dem Platz ihres Mannes, steht ein Frühstücksgedeck. Ein Teller, Besteck, ein Eierbecher mit Ei darin, daneben der Salzstreuer. Butter, Brot, Wurst und Käse stehen griffbereit. Die Kaffeemaschine ist an, die Kanne noch halb voll. Manfreds Kaffeebecher ist gefüllt. Unwillkürlich blickt Christine sich um, sie glaubt, ihr Mann würde jeden Moment die Treppe herunterkommen, um zu frühstücken. Dann greift sie sich an den Hals, wo sie ihren Herzschlag spürt.
Sie dreht sich um, zieht hastig Schuhe und Jacke an, greift im Vorbeigehen nach ihrem Schlüsselbund und verlässt das Haus.
Erst nach mehreren Minuten überlegt sie, wo sie eigentlich hingehen will. Es zieht sie zu Berta. Aber die ist sicher im Kehr wieder , bei Sophie. Oder in der Fischerbude. Vor so vielen Menschen will sie nicht über das reden, was in ihrem Haus passiert. Sie sieht schon die ungläubigen, bestenfalls mitleidigen Blicke der anderen. Es gibt sicher eine Erklärung für alles. Und wenn es vorbei ist, wird sie froh sein, mit niemandem darüber gesprochen zu haben. So eine Geschichte hängt einem doch ewig an. Nein, niemand soll sie für verrückt halten, auch Berta nicht.
Sie geht jetzt langsamer zwischen den Gärten am Ortsrand hindurch. Es ist still. Die Gärten sind kahl und aufgeräumt, die Fenster der Lauben zugehängt oder mit Läden verschlossen. Christine scheucht ein paar Vögel auf, eine Katze versteckt sich unter einem Gebüsch. Sie tritt in eine Pfütze, ohne es zu bemerken. Es muss jemand im Haus gewesen sein. Jemand, der einen Schlüssel hat. Vielleicht Manfreds Schlüssel. Sie hat sie immer noch nicht gesucht. Das wird sie jetzt tun. Entschlossen macht sie sich auf den Rückweg.
Aber wer macht so etwas? Hat derjenige auch etwas mit Manfreds Tod zu tun? War es doch kein Unfall, hat ihr erstes Gefühl sie nicht getäuscht? Ihr Herz beginnt wieder heftiger zu schlagen. Ein Fremder im Haus, nachts, wenn sie schläft, dieser Gedanke ist unerträglich.
Aber was hat das alles zu bedeuten? Sie hat doch niemandem etwas getan â und Manfred sicher auch nicht. Was hat die Polizei gesagt? Es konnte bei seinem Unfall keine Fremdeinwirkung festgestellt werden. Na also.
Nein, sie ist einfach überreizt. Sie trinkt zu viel und der Schock über Manfreds Tod hat sie endgültig aus dem Gleichgewicht gebracht. Christine bemüht sich, ruhig zu werden und ihre Gedanken zu ordnen. Also: über Manfreds Bad will sie gar nicht
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