Die Toten von Bansin
häuften sich die Probleme, einen Verlust des Weihnachtsgeschäftes werde ich nicht mehr ausgleichen können.â¹
Donnerstag, 6. Dezember
Markus Moll sitzt an seinem Schreibtisch und sieht sich um. Es ist still, die Praxis ist geschlossen und er ist ganz allein. Er hat sich für eine Woche krank gemeldet. Mehr Zeit will er sich nicht nehmen, um sein Leben wieder zu ordnen. Seine Patienten brauchen ihn doch!
Er schafft es diesmal allein, da ist er ganz sicher. Er braucht nur etwas Ruhe. Im Raum ist alles in gewohnter Ordnung. Auch auf seinem Schreibtisch. Er zieht die Schubladen nacheinander auf. Nichts Auffälliges. Er atmet tief durch und lehnt sich zurück. Der Albtraum ist vorbei. Nun muss er es nur noch schaffen, wieder ganz auf den Alkohol zu verzichten. Obwohl, eigentlich hat er doch alles unter Kontrolle. Ein, zwei Gläser am Morgen, vor der Arbeit, damit die Hände nicht zittern. Abends ein paar Gläser Wein, zur Beruhigung, um schlafen zu können. Eine Weile sollte es so gehen, irgendwann, wenn wieder alles in gewohnten Bahnen läuft, wird er wieder ganz trocken werden. Er verdrängt jeden Gedanken daran, wie es dazu gekommen ist, dass er wieder trinkt. Später, später wird er darüber nachdenken und es herausfinden. Jetzt will er es gar nicht wissen. Auch nicht, ob die Unfälle von Töpfer, Sören Mager und Manfred Jahn zufällig geschehen sind.
Der Arzt springt auf und tritt ans Fenster. Er hat Angst. Etwas Unheimliches geschieht um ihn herum. Etwas so unfassbar Böses, dass es ihm die Luft abschnürt. Bildet er sich wirklich alles ein, weil er wieder trinkt, so wie Schwester Marita behauptet?
Nein, als es begann, war er trocken. Er hatte sein Leben unter Kontrolle. Jetzt bricht plötzlich alles zusammen, Bilder aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein, er sieht das ertrunkene Kind vor sich â verschwommen, so wie damals auch.
Nun denkt er doch daran und sein Bedürfnis zu trinken, um die Gedanken abzuschalten, wird fast übermächtig. Die Heizung ist abgeschaltet, die Räume sind kühl, aber ihm steht der Schweià auf der Stirn. Der Mann öffnet das Fenster, er umklammert das Fensterbrett, um das Zittern der Hände zu unterdrücken, und atmet tief durch.
Es ist still im Haus. Nach einer Weile glaubt er zu hören, wie die AuÃentür der Arztpraxis leise geschlossen wird. Er wartet, lauscht, dann geht er in den Warteraum. Mitten auf dem kleinen Tisch neben dem Eingang steht eine Flasche Wodka. Seine Hilflosigkeit schlägt in Wut um. Sicher hat er Fehler gemacht, ist nicht perfekt. Aber das hat er nicht verdient! Mit einem Aufschrei greift er die Flasche und wirft sie an die Wand.
Dann reiÃt er sich zusammen. Ohne sich um die Scherben und den Gestank zu kümmern geht er zurück ins Sprechzimmer und setzt sich an den Schreibtisch. Ungeduldig blättert er in seinem Notizbuch, bis er die gesuchte Telefonnummer findet. Er verwählt sich, beginnt noch einmal und hat Glück. Sein ehemaliger Studienkollege, der jetzt eine Suchtklinik leitet, ist sofort am Apparat.
Doktor Moll muss nicht viel erklären. »Ich brauche deine Hilfe« genügt. Schon morgen will er sich von seiner Tochter in die Klinik fahren lassen. Er weiÃ, dass es eine Flucht ist. Er hätte mit der Polizei sprechen sollen. Fred Müller ist ein netter Junge, mit ihm kann man reden. Aber erst einmal muss er sein eigenes Leben wieder auf die Reihe bekommen, muss in Ruhe über alles nachdenken. Jetzt will er hier nur noch weg.
* * *
Sophie geht es gut. Sie sieht Arno zu, der ein Stück Stollen isst, und genieÃt es, mit ihm allein zu sein. Er kaut langsam und gründlich, wischt sich den Mund mit einer Serviette ab, bevor er einen Schluck Kaffee trinkt â und schweigt dabei. Das liebt sie besonders an ihm, dass man mit ihm nicht nur reden, sondern auch schweigen kann. Er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus.
»Mit ihm zusammen zu sein, ist wie nach Hause zu kommen«, hat sie Anne erklärt. »Ich fühle mich so sicher und geborgen, ich kann so sein, wie ich bin, muss mich nicht verstellen und brauche nichts zu beweisen.«
Anne hat verständnisvoll genickt. »Ich weiÃ, was du meinst. Ich staune ja selbst, wie perfekt ihr zusammenpasst. Da hast du wohl wirklich noch auf deine alten Tage die Liebe deines Lebens gefunden.«
Berta kommt mit dem Hund an der Leine herein. âºDie sitzen da wie ein altes
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