Die Toten von Bansin
Strand, wo sich Spaziergänger um einen Glühweinstand drängen. Die Ostsee ist noch eisfrei, am Horizont sieht man die Schwedenfähre.
»Ich liebe die Heringsdorfer Seebrücke«, erklärt Anne. »Mit meinen Gästen komme ich immer hierher. Hier kann man sich bei jedem Wetter aufhalten und es ist nie langweilig.«
»Die alte Seebrücke war noch viel schöner«, erinnert sich Berta. »Aber die ist ja leider abgebrannt.«
»Wann war das eigentlich?«
»1958. Im Juni 1958. Das werde ich nie vergessen. Die Flammen waren kilometerweit zu sehen. Die Seebrücke war ja aus Holz. Da waren auch schon Geschäfte drauf, so wie heute. Na ja, nicht so viele. Und unter dem Steg waren Hohlräume, da haben die ihr Verpackungsmaterial, Papier und Pappe, gelagert. Ja, da brauchten die Strolche, ein paar Heringsdorfer Bengels, nur ein Streichholz ranzuhalten. Mann, war das ein Feuer. Gegenüber im Kurhaus Solidarität haben sie die Gäste evakuiert. Die standen alle mit ihren Koffern vor der Tür. Zum Glück haben die Flammen nicht übergegriffen. Aber die Seebrücke war weg, der Stolz der Insel Usedom. Das war wirklich ein Verlust. Und dann hatte Heringsdorf sehr lange gar keine Seebrücke, diese wurde ja erst in den neunziger Jahren gebaut.«
Die drei Frauen gehen langsam zurück. Auf einen Einkaufsbummel verzichten sie mit Rücksicht auf Bobby und spazieren stattdessen noch ein Stück auf der Promenade in Richtung Ahlbeck.
Als sie an der Büste Wilhelms II. vorbeigehen, schüttelt Berta verständnislos den Kopf. »Was die jetzt alle mit dem ollen Kaiser haben? Das hat früher keinen Menschen interessiert, ob der hier war oder nicht.«
Anne, die ihre Begleiterinnen um mehr als einen Kopf überragt, lacht. »Ich verstehe das eigentlich auch nicht. Der war für die Geschichte des Seebades ja gar nicht so wichtig. Das ist eben eine Werbestrategie und ich staune selbst immer wieder, wie das funktioniert, wie sich die Leute für diesen Kaiser interessieren, der uns ja nicht viel Gutes eingebracht hat.«
Während Berta und Anne sich weiter über die Geschichte des Ortes und der einzelnen Häuser austauschen, schweifen Sophies Gedanken ab. Jemand wollte, dass sie auf der Treppe stürzt. Gibt es in Bansin einen Menschen, der wahllos andere verletzt oder ermordet? Der Gedanke macht ihr Angst. Umso weniger versteht sie, wie sich ihre Freundin und ihre Tante so ruhig über belanglose Dinge unterhalten können. Und überhaupt â wer weiÃ, was inzwischen in Bansin passiert. Sie unterbricht die beiden und drängt darauf, zurückzufahren.
In der Hütte ist es heute richtig warm, Paul Plötz hat schon zum zweiten Mal Holz nachgelegt. Trotzdem zittern seine Hände, als er zwei Tassen auswischt und auf dem Tisch bereitstellt. Er sieht sich im Raum um, es ist ungewöhnlich aufgeräumt und sauber. Er will einen guten Eindruck machen, aber hauptsächlich hat er sich aus Nervosität beschäftigen müssen.
Prüfend fährt er noch einmal mit der Hand über die Sitzfläche des Stuhles, dann steckt er sich, ganz in Gedanken, eine Zigarette an, drückt sie aber gleich erschrocken wieder aus und wirft sie einfach in den Ofen, wobei er leise flucht, weil er sich die Finger an der Eisenklappe verbrennt.
Als es klopft, richtet er sich hastig auf, streicht durch das graue Haar und räuspert sich. Dann reiÃt er die Tür so hastig auf, dass seine Besucherin erschrocken zurücktritt.
»Komm doch rein, bitteschön, ist warm hier drin, drauÃen ist es ja kalt, der Ostwind â¦Â« Verlegen hält er inne. »Setzen Sie sich doch. Einen Kaffee vielleicht? Oder lieber Grog?«
Schwester Marita sieht ihn etwas belustigt an. »Wir können uns ruhig duzen«, entscheidet sie dann. »Kennen uns ja lange genug. Gib mir schon einen Grog und dann setz dich endlich hin. Machst mich noch ganz verrückt mit deinem Gezappel.«
Sie verschmäht den Ehrenplatz im Sessel, der ihr groÃzügig angeboten wird, und setzt sich auf den Küchenstuhl. Der Fischer schiebt die Tassen beiseite, füllt zwei dickwandige Gläser zur Hälfte mit Rum, gibt reichlich Zucker dazu, gieÃt heiÃes Wasser auf und rührt um. Einen Moment lang betrachtet er sein Werk nachdenklich, dann lässt er die Getränke einfach auf dem Tisch stehen und setzt sich hastig in seinen Sessel neben dem Ofen. Er beugt
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