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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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nur, was diesen großen, hässlichen Zaun des Verteidigungsministeriums betraf.
    Am nächsten Morgen blieben wir köstlich lange im Bett. Oben in Claires Zimmer. Wir liebten uns, tranken Tee und erzählten einander immer noch mehr aus unserem Leben. Claire sprach viel darüber, wie sie sich als junges Mädchen im Internat gefühlt hatte. Über die Einsamkeit und die diamantene Härte, die sie sich innerlich hatte zulegen müssen, um dort zu bestehen. Die Schulen, auf die ich gegangen war, hätten sich auf den ersten Blick kaum gravierender von ihren unterscheiden können, aber hinter den Fassaden sah es offenbar überall gleich aus: Cliquen, Schlägertypen, Einschüchterungsmanöver und Leute, die zu Sündenböcken erklärt wurden . Ich glaube, es war an dem Morgen, dass ich ihr von meiner nur kurz währenden Ara als dreizehnjähriger Held erzählte.
    Ich hatte den Nachmittagsunterricht sausen lassen und den Bus nach Crowby hinein genommen. Es war ein heißer Sommertag, und ich hatte von meinem Geburtstag noch ein bisschen Geld übrig, das mir ein Loch in die Tasche brannte (ich bin im Juni geboren, wenn es Sie interessiert, mein Sternzeichen sind die Zwillinge). Ich lief bis in den Memorial Park und dachte, ich könnte vielleicht etwas Minigolf spielen oder so. Inzwischen haben sie den Bootssteg wiederhergerichtet und auch sonst alles neu angelegt, aber damals war da noch der alte viktorianische See, zugewachsen und sumpfig braun; nichts erinnerte mehr an seine längst vergangene Schönheit. Es war eine Frage von Sekunden, höchstens Minuten. Zwei kleine Jungs, Brüder, tollten in einem Ruderboot herum (nach heutigen Maßstäben wären sie viel zu jung, um eines mieten zu können), und der Kleinere fiel ins Wasser. Keiner von beiden konnte schwimmen. Es war das reine Glück, dass ich gerade vorbeikam. Ich war selbst kein besonders guter Schwimmer, aber um mich durch Algen und Schlingpflanzen zu kämpfen, bevor sonst irgendjemand auch nur einen Fuß in das matschige Wasser gesetzt hatte, reichte es. Trotzdem war der Junge, nachdem ich ihn herausgeholt hatte, in ziemlich schlechter Verfassung. Er musste wiederbelebt werden, und ein Krankenwagen musste her. (Seltsamerweise habe ich erst kürzlich von dem kleinen Kerl geträumt; es war ein Albtraum: Ich kam zu spät, er war nicht mehr zu retten, aber er packte mich, klammerte sich an mir fest und zog mich mit sich in die Tiefe.) Ein paar Tage später brachte die Zeitung die Geschichte, auf der ersten Seite des Lokalteils, mit einem Bild von den Brüdern und mir, wie wir »zur Feier des glücklichen Ausgangs« ein Eis aßen. Als die Nachricht die Runde gemacht hatte, erntete ich in der Schulversammlung morgens spontanen Applaus und wurde anschließend ins Büro des Rektors gerufen, wo ich für mein »unverfrorenes Schwänzen« den Rohrstock zu spüren bekam (das durften sie, nebenbei gesagt, damals noch, Kinder mit staatlicher Zustimmung quälen und einschüchtern) . Aber das war es nicht, was mich so fertigmachte. In gewisser Weise war die Strafe ja regelkonform und damit durchaus fair. Nein, es war die Art, wie der Rektor mich in sein Büro geholt hatte, seine sarkastische kleine Vorstellung, die mich in dem Glauben wiegte, auf mich warte eine weitere Belohnung für meine tapfere Tat. Dieser Tag hat mir die Schule und die Gesellschaft, die dahinterstand, endgültig verleidet. Meine Mum war außer sich, als sie davon erfuhr, und setzte dem Rektor nach Kräften zu. Die Zeitung unterstützte sie dabei und schaffte es am Ende sogar, dem Direktorium eine schriftliche Entschuldigung abzuringen. Aber es war zu spät, das Porzellan war zerschlagen.
    Das alles konnte ich Claire erzählen. Ich konnte ihr anvertrauen, was ich sonst nie jemandem erzählt hätte, und sie erzählte mir auch alles, vertraute mir genauso. Oh, ich erahne Ihre Gedanken, lieber Leser; ich weiß, Sie denken, unsere Beziehung hätte keine Zukunft gehabt, wir seien in zu vielerlei Hinsicht zu unterschiedlich gewesen und Claire wäre zu Nigel zurückgegangen (oder hätte sich doch wieder einen wie ihn gesucht). Aber bei allem Respekt, Sie waren nicht dabei. Sie haben sie nie geküsst, nie in den Armen gehalten.
    Was Macht, Hierarchien und Tyrannei angeht, hatte der miese kleine Rektor mir eine wertvolle Lektion erteilt. Im Knast habe ich Hunderte von seiner Sorte gesehen, Leute, die sich hinter ihrer Uniform versteckten, sich auf Kosten anderer wichtig machten und damit ihr Selbstwertgefühl aufpäppelten.

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