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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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seine Halloween-Gesichtsfarben auch anders aus, war aber immer noch groß und breitschultrig und ganz der rastlose Typ, der in jeder Art von Haus irgendwie eingesperrt wirkt. Jemand hat mir mal erzählt, er sei ein leidenschaftlicher Rugby-Spieler gewesen, bevor er die Revolution für sich entdeckte und zu dem Schluss kam, dass Sport eine reaktionäre, bürgerliche Ablenkung und damit Teil dessen sei, was Claire und er die »Event-Gesellschaft« nannten.
    Gott allein weiß, worüber an jenem Abend alles geredet wurde. Im Detail, meine ich. Es gab endlose Listen mit Einzelheiten, die geklärt werden mussten und als weitaus komplizierter und dringlicher dargestellt wurden, als sie tatsächlich waren. Aber wenigstens bekam ich eine Vorstellung davon, worum es eigentlich ging, wer all diese Leute waren und was sie zusammenbrachte. Der zentrale Punkt war der stillgelegte Flugplatz der Royal Air Force beim Crowcross Wood. »Stillgelegt« stimmte so allerdings nicht ganz. Der Flugplatz war während des Zweiten Weltkriegs als Behelfsbasis für Kampfflugzeuge angelegt, jedoch nie in Dienst genommen worden. Der Krieg endete, bevor es dazu kam, und anschließend geriet der Flugplatz mehr oder weniger in Vergessenheit. Unkraut und Wildblumen säumten die Start- und Landebahnen, die Flughallen blieben leer Ể Es gibt den Platz übrigens immer noch, und er verfällt immer weiter. Maureen (auch über sie später mehr) sagt, in den Neunzigern hätten dort gelegentlich am Wochenende riesige Raves stattgefunden. Ich kann ihr das nur glauben (wie das meiste über diese Zeit). Selbst habe ich damals nichts mitbekommen. Die Neunziger sind etwas, das ich allein aus dem Fernsehen kenne, und was ich da sah, hatte mit meiner engen kleinen Gefängnishölle nichts zu tun.
    Aber zurück in die Achtziger. Es hieß, der Flughafen sei in einem geheimen Deal des Verteidigungsministeriums (der nur geheim blieb, bis ein Journalist des Guardian ihn in allen Einzelheiten auf die Titelseite brachte) den Amis verpachtet worden. Die Gebäude sollten renoviert und neu ausgerüstet, die Start- und Landebahnen repariert und verlängert werden, und dann sollte das Ganze als »Einrichtung« der US Air Force dienen, mit »Nuklear-Kapazität«. Für den Fall, dass der Kalte Krieg zu einem heißen wurde und sich herausstellte, dass die Basen in Greenham und Molesworth nicht ausreichten, war der Plan, dass die amerikanischen Bomber von Crowcross aus einen Teil der Last übernahmen.
    Hier kam Myrtle Cottage mit dem umliegenden Grund ins Spiel. Die Regierung hatte den bekannt gewordenen Plan weder bestätigt noch dementiert, die Protestierer glaubten jedoch fest daran, dass er existierte, und sie glaubten auch, das Verteidigungsministerium sei im Begriff, große Teile des Landes um den Flughafen herum zu enteignen, um eine Vergrößerung der Basis zu ermöglichen. Die Start- und Landebahnen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs würden für die modernen US-Kriegsflugzeuge nicht ausreichen. So kamen die Protestierer also nach Myrtle Cottage, weil sie Widerstand leisten und der angenommenen Enteignung trotzen wollten. NEIN ZUR AIRBASE! NEIN ZU DEN BOMBERN!, verkündeten die Spruchbänder auf dem Dach des Cottages jedem Spionagesatelliten, dessen Betreiber auch nur entfernt an dem interessiert waren, was bei uns vorging.
    Natürlich habe ich das alles nicht gleich am ersten Abend begriffen. Auch im Laufe der ersten paar Tage und Wochen nicht. Noch war ich der Junge von der Straße, vergessen Sie das nicht. Die einzige »politische« Ansicht, die ich bis dahin entwickelt hatte, bestand darin, dass ich das ganze System scheiße fand und meinte, wenn es möglich sei, es aus den Angeln zu heben, dann sollte man das verdammt noch mal tun. Einiges habe ich tatsächlich erst Jahre später richtig begriffen, nach endlosen Tagen, an denen ich nichts anderes zu tun hatte, als über die Vergangenheit nachzudenken. Bis ins kleinste Detail, an das ich mich erinnern konnte. An jenem Abend wusste ich letztlich nur, dass die Party spitze gewesen war und das Cottage offenbar ein interessanter Ort, an dem noch ein bisschen länger herumzuhängen sich lohnte. Aber vor allem – wenn ich sie so sprechen sah, wenn ich sah, wie sie das Treffen mit leichter Hand steuerte – wusste ich, dass ich näher an Claire herankommen wollte. So nahe, wie es nur eben ging. So nahe, wie sie mich ließ.

9
    Die Geografie der Gegend war einfach. Eine kleine Landstraße brachte einen von Wynarth nach

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