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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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zwei und zwei zusammen, aber so war s nicht gewesen. Ja, Marty hatte sich nach seiner Entlassung mit Straßenhuren eingelassen, und noch mal ja, sie war auch eine gewesen, eine erbärmliche Drei-Pfund-Wichs-Hure. Aber so hatten sie sich nicht kennengelernt. So war es nicht gewesen.
    Sie war mit dem Bus aus der Stadt raus in den Park gefahren, um eine Stunde an der frischen Luft zu haben. Es war schön da, in Riverside, und der Park war absolut sicher, wenigstens tagsüber. Überall waren Leute, die ihre Hunde ausführten, Spaziergänger und Jogger. Auf dem Spielplatz wimmelte es von Mums mit Babys und Kleinkindern. Auf dem See ruderten ältere Kinder. Er hatte sie nach der Zeit gefragt, weiter nichts, hatte erst gar nicht versucht, es besonders schlau anzustellen. Sie konnte ihm natürlich nicht weiterhelfen, sie hatte damals nie eine Uhr bei sich. Da könnte es ja schon später sein, als Sie denken, hatte er gesagt, und dann hatte er sie angelächelt, ganz vage, beinahe schüchtern.
    Sie hatten sich auf eine Parkbank gesetzt und geredet, überalles und nichts. Oberflächlich zunächst. Ohne wirklich etwas von sich preiszugeben (oder von dem, was die Welt von ihnen dachte). Sie war zu der Zeit schon auf dem Absprung gewesen. Das begriffen die Leute einfach nicht. Sie hatte an einem Methadon-Programm teilgenommen, es auch mehr oder weniger durchgehalten und kurz davor gestanden, einen Schritt weiterzugehen und noch mal von vorn anzufangen. Marty war genau im richtigen Augenblick gekommen, so als hätte ihr Schutzengel seine Schritte gelenkt. Nicht dass sie an so etwas glaubte, nicht wirklich. Und doch hatte vielleicht irgendwas oder irgendwer auf sie aufgepasst. Konnte das nicht sein? Eine Menge Mädchen hatten nicht überlebt. Sie schon.
    Sie ging hinüber in Janes Wintergarten und öffnete die Tür und sämtliche Fenster, um die frische Sommerluft hereinzulassen. In den Garten konnte sie nicht. Der war viel zu klein und lag voll im Blick der Nachbarn, und das Letzte, was sie im Moment gebrauchen konnte, war ein nichtssagendes Gespräch mit einer Fremden über Janes Gartenzaun hinweg. Aber hier drinnen fühlte sie sich sicher und geschützt. Sie setzte sich in den blauen Korbstuhl und nippte an ihrem Glas. Eigentlich durfte sie nichts trinken, höchstens Tee oder Kaffee. Sie sei ein suchtgefährdeter Mensch, hatten sie ihr in der Klinik erklärt, damit werde sie für den Rest ihres Lebens zu kämpfen haben. Sie stellte diese Diagnose nicht infrage. Aber jetzt ließ sie die Zügel locker, weil sie sich betäuben musste. Es war eine Frage des Überlebens.
    Das Hirn betäuben. Damit es nicht von allem, woran sie sich erinnern wollte, gleich zurück zu diesem Morgen und der Tatsache schnellte, dass Marty nicht mehr da war, nicht mehr lebte, in dieser Welt nie, nie, nie wieder bei ihr sein würde. Das Hirn betäuben, damit sie nicht schreiend auf die Straße rannte und sich die Haare ausriss oder, schlimmer noch: leise und ruhig zurück in Janes Küche ging, Janes scharfes Brotmesser nahm und sich die Pulsadern aufschnitt. Weit, weit aufschnitt. Weit bis zum Himmel.
     
    Endlich war Nigels Fahrer wieder auf der Autobahn, ein gutes Stück nördlich von Crowby und dem verstopften Großraum Birmingham. Hier war der Verkehr zwar dicht gewesen, aber geflossen. Bis vor zwanzig Minuten. Jetzt standen sie auf allen drei Spuren, und nur gelegentlich ging es im Schritttempo ein paar Meter voran. Der Fahrer schaltete das Radio ein: Zwei Ausfahrten weiter war ein Sattelschlepper ins Schleudern gekommen und in einen Ford Mondeo mit Wohnanhänger gekracht. Die Beteiligten waren nur leicht verletzt, aber es würde zu erheblichen Verzögerungen kommen. Nigel sagte dem Fahrer, er solle sich keine Sorgen machen, er habe genug Arbeit dabei, die er erledigen könne, während sie warteten. Ob das Radio sich vielleicht etwas leiser stellen lasse, wenn es ihm nichts ausmache? Aber sicher, sagte der Fahrer, er könne auch über sein Handy weiter hören, mit Kopfhörern.
    Nigel sah seine E-Mails durch und erledigte ein paar dringende Anrufe. Dann ließ er das Fenster herunter und überlegte sogar, ob er aussteigen und sich ein wenig die Beine vertreten sollte, wie es etliche Leute taten. Der Lexus stand auf der mittleren Spur, direkt hinter einer Art Abschleppwagen und vor einem alten, heruntergekommenen Ford Transit. Verkehrsstaus bildeten eine Art unvollkommene, flüchtige Demokratie, nach den uralten Gesetzen des Zufalls produziert von

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