Die Toten von Crowcross
in einem modernen Gebäude in der Colmore Row, im zehnten Stock, hoch genug wahrscheinlich, um auf den Turm der St Philip’s Cathedral und das mächtige Bullring Center hinuntersehen zu können, Birminghams bekanntestes Gebäude, das nur ein paar Straßen entfernt lag. Die beiden Türsteher im schwarzen Anzug begrüßten sie, und wenig später standen sie vor einer überparfümierten, übermanikürten Empfangsdame. Angesichts der Magie eines Dienstausweises war diese doppelte Barriere gegen unerwünschte Besucher allerdings wirkungslos.
Jacobson nahm sich ein Pfefferminz aus der Schüssel auf der Empfangstheke, und dann stiegen sie in den Expressaufzug. Mott teilte sich den zehnten Stock mit einer PR-Firma. Der Laden wirkte beeindruckend. Hier gab es zweifellos stattliche Rechnungen und zahlungskräftige Kunden, die sie umgehend beglichen.
Am Vorabend hatte Jacobson noch per Telefon einige Informationen zu Michael Mott bekommen. Laut Barber stammte Mott zwar aus Birmingham, hatte den Großteil seiner Polizeikarriere aber in London absolviert, bei der Metropolitan Police. Er hatte es bis zum DI gebracht, bevor er sich vorzeitig hatte pensionieren lassen, um eine private Detektei aufzumachen. Innerhalb dieses für niedrige Standards und windige Methoden bekannten Wirtschaftszweiges war Mott offenbar so ehrlich, wie man in dem Job nur sein konnte. Er hatte sich exklusiv auf Verteidigungsarbeit spezialisiert und durchleuchtete systematisch Beweise und Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft präsentiert wurden. Mott verdiente sein Geld damit, dass er wacklige Bereiche der jeweiligen Anklage ausmachte, auf die sich die Verteidigung dann vor Gericht konzentrieren konnte. Mit diesem Konzept hatte er Erfolg; er beschäftigte ein eigenes Vollzeit-Team offiziell zugelassener Privatdetektive. Etwa ein halbes Dutzend, hatte Barber gesagt. Jetzt einen weniger , hatte Jacobson geantwortet und damit ein weiteres Mal die ihm nachgesagte Raubeinigkeit unter Beweis gestellt.
Mott wartete in seinem Vorzimmer auf sie und winkte sie in sein Allerheiligstes (der Blick aus dem großen Fenster war in jeder Hinsicht so beeindruckend, wie Jacobson es geahnt hatte). Mott war etwa in Jacobsons Alter, hatte aber ein geradezu aufreizend kantiges Kinn und war auch sonst auf eine etwas zu offensichtliche, fast schon amerikanische Weise gut aussehend. Er trug ein frisch gebügeltes blaues Hemd, und die Anzugjacke, die an der Garderobe aus Walnussholz hing, entsprach oder übertraf sogar Greg Salters Standards. Und dennoch sah er schrecklich aus. Rotäugig, schlecht rasiert, erschöpft. Jacobson nahm an, dass er sich am Vorabend nach seiner Rückkehr von der Leichenhalle in Crowby betrunken hatte.
»Ihre Mutter kommt mit dem Zug her«, sagte Mott und deutete auf ein paar bequem aussehende Ledersessel, »offenbar fühlt sie sich nicht in der Lage, Auto zu fahren. Ich werde sie vom Bahnhof abholen und dafür sorgen, dass sich jemand um sie kümmert.«
»Sie kommt aus Bedfordshire, richtig?«, fragte Jacobson sachlich.
»Aus Luton oder einem Ort in der Nähe.«
Karen Holts Verwandte waren so gut wie sicher ohne Bedeutung für den Fall. Dennoch rekapitulierte Jacobson, was er über Holts Hintergrund wusste. Sie war ein Einzelkind, die Eltern geschieden. Vater und Freund waren derzeit beide außer Landes, der (wieder verheiratete) Vater machte Urlaub in Griechenland, der Freund (ein IT-Berater) war noch bis Ende des Monats in Luxemburg.
»Gestern Abend haben Sie gesagt, dass sie noch nicht lange für Sie gearbeitet hat?«
»Sechsundzwanzig Monate und sechzehn Tage, das meint wenigstens der Computer«, antwortete Mott. »Sie war die erste Mitarbeiterin, die früher nicht bei der Truppe war.«
»Denken Sie, das könnte von Bedeutung sein?«, fragte Kerr.
Er sah Mott zum ersten Mal, denn er hatte den größten Teil des vergangenen Abends in Crowcross verbracht. Von der Identifikation hatte er durch Jacobson erfahren. Mott hatte am Vortag mehrfach versucht, Karen Holt zu kontaktieren, weil sie nicht zur Arbeit erschienen war. Dann endlich hatte er in den Nachrichten auf Channel 4 ihr Bild gesehen, den Einsatzraum angerufen, sich ins Auto gesetzt und war direkt nach Crowby gefahren.
»Das könnte sein, oder? Wie gesagt, was immer sie da gemacht hat, es hatte nichts mit mir zu tun . Nichts. Ich bin aus dem Fall Grove raus, seit ich Alan Slingsby bei den Vorbereitungen für die dritte Berufung unterstützt habe. Das muss jetzt elf Jahre her sein,
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