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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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Entlassung wenigstens einmal pro Jahr gesehen. Er rief an, sagte, ich brauchte einen Tag an der frischen Luft, und versprach mir eins von Maureens feudalen Essen . Das Berufungsgericht hat ihn vollständig rehabilitiert, vergessen Sie das nicht, also habe ich keine offiziell bestehende Grenze überschritten.«
    »Da bin ich sicher«, sagte Kerr, »aber ungewöhnlich ist es dennoch, oder?«
    »Das kann man sagen. Es gibt immer wieder Gefangene, die man im Laufe der Zeit achten lernt und zu denen man sogar so etwas wie eine Freundschaft aufbaut. Aber wenn sie erst mal durch die große Tür gegangen sind, wars das für gewöhnlich.«
    »Sie sagte, Sie seien einer der wenigen Privilegierten gewesen, für die er überhaupt Zeit hatte.«
    »Ich habe mich in Boland für ihn eingesetzt, so gut ich eben konnte. Das wusste er wohl zu schätzen.«
    »Was genau haben Sie getan?«
    »Als ich ihn kennenlernte, hatte Martin schon ein Dutzend Jahre auf dem Buckel, und die ganze Zeit über hatte er seine Unschuld beteuert. Seine Meutereigelüste hatte er längst abgelegt, die hatte er in den ersten Jahren befriedigt: Da war er in den Hungerstreik getreten, hatte die Wände seiner Zelle mit Exkrementen beschmiert und sich auch an ein paar gewaltsamen Auseinandersetzungen beteiligt. In Boland folgte er einer neuen Strategie; er wandelte sich in so gut wie jeder Hinsicht zum Vorzeigegefangenen, nur dass er unverändert an seiner Unschuldsbehauptung festhielt.«
    »Was ihn die vorzeitige Entlassung auf Bewährung gekostet hat?«
    »Mehr als einmal. Die Bewährungskommission zieht das Urteil grundsätzlich nicht in Zweifel. Der Schuldspruch des Gerichts ist die Wahrheit, von der die Kommissionsmitglieder ausgehen, und wer sich dazu nicht bekennt, gilt als einer, der sein rechtsbrecherisches Verhalten leugnet und damit keine Chance hat, vorzeitig frei zu kommen.«
    »Aber Sie haben ihm geglaubt?«
    »Nicht unbedingt … Gut, ich war offen für das, was er sagte, wenigstens zu Anfang. Es gefiel mir nicht, dass das System ihm alles Mögliche verweigerte, nur weil er das Verbrechen nicht auf sich nehmen wollte. So ist es heute noch. Sie wollen einen Kurs an der Open University oder etwas Ähnliches belegen und stecken ganz hinten in der Schlange fest, solange sie sich nicht klar zu ihrer Verurteilung, also ihrer Schuld, bekennen. Vom offiziellen Standpunkt aus wird da unterschieden zwischen denen, die etwas verdienen, und denen, die es eben nicht verdienen. Das ist es hauptsächlich, wobei ich ihm geholfen habe. Ich habe durchsetzen können, dass er studieren durfte.«
    Vines Telefon klingelte, aber er hob nicht ab, sondern drückte einen Knopf, und das Klingeln verstummte. An der Wand hinter seinem Tisch hing ein riesiger Jahresplaner, die Tage und Wochen vollgepackt mit Besprechungen und Terminen. Kerr selbst hatte keine Sekunde lang daran gedacht, in den Gefängnisdienst zu gehen. Zwar machten die Leute hier abends pünktlich Feierabend (wenn sie nicht gerade Spätdienst hatten), sie hatten freie Wochenenden und konnten langfristig Urlaube buchen, aber den Rest der Zeit verbrachten sie auf dem Gefängnisgelände und waren nichts als Rädchen im Getriebe des Strafvollzugs. Er hielt es für ausgeschlossen, dass die Schwermut, die Verzweiflung und die grundsätzlich negative Stimmung nicht irgendwann abfärbten und einen am Ende selbst zum Gefangenen machten.
    »Haben Sie je Ann Ledbury kennengelernt?«, fragte er. »Die Buddhistin, die ihn heiraten wollte?«
    Ihren Selbstmordversuch erwähnte er nicht.
    »Nicht direkt, aber eine Zeit lang hat Martin viel von ihr gesprochen. Ich glaube, er war wirklich interessiert an ihr. Aber dann hat sich da etwas geändert.«
    »Können Sie sagen, was?«
    Vine zuckte mit den Schultern.
    »Wer weiß das schon? Ich glaube, es gefiel ihm nicht, dass sie der Presse von ihren Besuchen bei ihm erzählte. Vielleicht war er irgendwann der Meinung, dass sie mehr daran interessiert war, ihre eigenen Probleme zu lösen, als daran, ihm bei seinen zu helfen. Er hat mir mal erzählt, dass sie überhaupt erst nach einer schmutzigen Scheidung zur Meditation gefunden hatte.«
    »Ihm war es mit dem Buddhismus also ernst? Grove, meine ich.«
    »So kam es mir vor. Eine Zeit lang bekam er auch Besuche von einem echten Mönch. Mit roter Kutte, rasiertem Kopf und so weiter.«
    Wieder klingelte Vines Telefon, und wieder nahm er nicht ab.
    »Die Hauptsache dabei, das Überzeugendste war, dass Martin da schon Ruhe und Gelassenheit

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