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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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belanglose persönliche Gespräche benutzt. Der bevorzugte Anschluss für alles Wichtigere war der Münzfernsprecher im jukeboxlauten Gastraum des »Wynarth Arms« (wo wir nicht nur geduldet, sondern geradezu willkommen waren).
    Während Nigel in U-Haft saß, fuhr Claire fast jeden Abend in ihrem MG hinüber, damit er sie anrufen und mit ihr sprechen konnte. Wenn sie mich fragte, fuhr ich immer gern mit. Der »Wynarth Arms« war ein Pub für junge Leute, oft sogar mit Livemusik hinten im Saal (das ist immer noch so, und das Bier ist gut). Manchmal blieben wir noch, wenn sie telefoniert hatte, tranken ein paar Gläser und redeten . Da habe ich Claire wohl eigentlich erst richtig kennengelernt. Ich muss ein einfacher Gesprächspartner gewesen sein, denn ich kapierte praktisch nichts und hatte kaum eigene Vorstellungen – abgesehen von der, vorerst im Cottage bleiben zu wollen und zu sehen, wie sich alles entwickelte.
    Claire war nicht immer nur ernst. Ich war einer der wenigen, die das sahen und gleich begriffen hatten. Im Cottage herrschte der altmodische Feminismus vor, und die meisten Frauen trugen Latzhosen, weite Pullover und keinerlei Make-up, als wäre das die vorgeschriebene Einheitstracht. Claire scherte sich nicht darum. Sie putzte sich heraus, wann immer ihr danach war. Sie hatte sogar A Sane Revolution von D ế H . Lawrence abgetippt und über ihrem Schreibtisch an die Wand gepinnt. Sie wissen schon, das Gedicht, in dem es heißt, eine Revolution soll Spaß machen:
     
    Seid nicht so entsetzlich ernst dabei ,
    Seid nicht so tödlich gesetzt.
    Tut’s aus Spaß.
     
    Ich weiß noch, wie sie einmal auf dem Kassettenrekorder in der Küche The Clash überlaut aufdrehte und irgendein alter Knacker von der Anti-Atom-Bewegung Wynarth den Kopf durch die Tür steckte und sie bat, die Musik leiser zu stellen, weil er nebenan gerade versuche, eine Presseerklärung zu den Crowcross Three zu schreiben.
    »Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution«, antwortete sie, lächelte ihm verschmitzt zu und drehte die Lautstärke noch weiter auf.
    Ich saß bei ihr in der Küche, schälte Kartoffeln und kapierte nicht, wieso der Mann sich daraufhin praktisch entschuldigte und gleich wieder verschwand. Erst Jahre später (in der Gefängnisbibliothek in Boland) ging mir auf, dass sie die legendäre Anarchistin Emma Goldman zitiert und sich damit wirkungsvoll auf eine höhere Autorität berufen hatte ễ
    Claire telefonierte fast jeden Abend mit Nigel. Ich konnte nicht immer mitfahren, ergriff aber doch jede Gelegenheit, die sich mir bot. Kein einziges Mal erwähnte ich, dass ich beim Stürmen des Flughafengeländes ihretwegen niedergeknüppelt worden war; vielmehr hoffte ich, dass sie es gesehen hatte und zu schätzen wusste. Eines Abends dann, ich war mit ihr im »Wynarth Arms«, hatte sie am Telefon einen Riesenstreit mit Nigel. Ich hätte nicht sagen können, ob es dabei um etwas Persönliches oder etwas Politisches ging. Nigel war ein gut aussehender Mistkerl, aber die Beziehung der beiden gründete mindestens genauso sehr auf ihren gemeinsamen politischen Zielen (selbst ich hatte das verstanden). Dieser sture , arrogante Scheißer , sagte sie, als sie vom Telefon zurückkam. Komm ,, wir zischen einen, Martin.
    Hinten im Saal spielte an dem Abend eine Two-Tone-Ska-Punk-Band. Der Laden war gerammelt voll, und die Band hatte reichlich Fans mitgebracht; sie waren an den Jacketts und Filzhüten deutlich zu erkennen. Wir blieben, bis der Pub zumachte, tranken, tanzten und redeten nicht viel, weil die Musik zu laut war. Mit Bier fingen wir an, dann gingen wir über zu Bier mit Schnaps, und am Ende gab s nur noch Schnaps. Es war Wahnsinn, dass Claire, betrunken, wie sie war, noch zum Cottage zurückfuhr, natürlich viel zu schnell. Es war dunstig, fast neblig, und der Mond zeigte sich nur gelegentlich als blasser Schimmer. Trotzdem schafften wir es unbeschadet zurück und rammten nichts und niemanden, auch nicht die Wachen, die gerade den Weg abgingen, als wir kamen . Wir parkten hinter Nigels altem Kleintransporter. Das Cottage wirkte ungewöhnlich ruhig. Nicht ein einziges Licht brannte. Abgesehen von den Wachen schienen alle zu schlafen.
    Claire war immer noch bei einer Rede, zu der sie angehoben hatte, als wir Wynarth verließen. Die Welt ist so schön und so im Arsch , sagte sie immer wieder. Die kriegen sie kaputt , Martin , wenn wir sie lassen. Wirklich , die zerstören lieber alles, als dass sie ihre Macht

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