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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Drink nahmen, Gelegenheit hatten, die Geschäftsabschlüsse der letzten und die Pläne für die nächste Woche zu besprechen. An diesem Samstag hatte Charles, wie immer, wenn er keine geschäftlichen Verpflichtungen außerhalb hatte, für den kurzen Weg von zu Hause bis ins Zentrum von Abingdon den Mini genommen. Der Regen der letzten Tage hatte aufgehört; der Himmel war von zartem Blau und wolkenlos. Heute würde man endlich einmal keinen Schirm mehr brauchen. Im Büro angekommen, rief er seine Sekretärin zu sich, um ihr mitzuteilen, daß er nicht gestört zu werden wünsche; er habe sich mit wichtigen Unterlagen zu befassen.
    Eine halbe Stunde lang saß er da, das Kinn in die linke Hand gestützt, und tat gar nichts, starrte nur vor sich hin und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Langsam keimte in ihm der Entschluß, aufzuhören mit der Qualmerei – vielleicht konnte das der erste Schritt sein. Er schwor sich, daß dies die letzte Schachtel sein würde (zum Glück hatte er sie gerade erst gekauft!), und dann würde er von dieser unseligen Angewohnheit ablassen und auf diese Weise nicht nur Herz, Kreislauf und Lungen vor weiteren Schäden bewahren, sondern obendrein auch noch eine Menge Geld sparen und (so hatte er jedenfalls gelesen) eine unerhörte Steigerung seiner Potenz erleben. Angesichts dieser immensen Vorteile sollte es doch wirklich möglich sein, sich zu beherrschen! Einen flüchtigen Moment lang bedauerte er, während er sich, ohne nachzudenken, gleichsam automatisch schon die nächste Zigarette ansteckte, daß die Packung noch fast voll war. Aber spätestens gegen Mittag würde keine Zigarette mehr übrig sein, und dann begann die Zeit der großen Kasteiung – bei seinem Drink mit Conrad würde er allerdings schon noch eine rauchen. Falls Conrad heute überhaupt kam … Mit fast schon wieder lustvollem Selbstmitleid sinnierte er über den labilen Charakter der Menschen schlechthin (vor allem natürlich der Männer!) und seine eigene Schwäche insbesondere. Wieder und wieder hatte er Anläufe genommen, sich zu ändern, hatte sich, immer dann, wenn hinter den Süchten und Räuschen die Schalheit und Leere sichtbar geworden war und er sich plötzlich mit der ganzen Wahrheit seines Lebens konfrontiert gesehen hatte, gleich einem reuigen Sünder auf einer Erweckungsversammlung an die Brust geschlagen, seine Schuld bekannt und Besserung gelobt. Doch dem jähen Erschrecken und dem Entschluß zur Umkehr war noch jedesmal wieder ein neuer Sündenfall gefolgt. Inzwischen glaubte er eigentlich nicht mehr daran, daß er wirklich in der Lage sei, sich zu wandeln. Da es ihm an Stärke mangelte, Versuchungen zu widerstehen, mußte er ihnen eben – so hatte er vor Jahren geschlossen – möglichst aus dem Weg gehen. Die Zahl seiner Liebschaften hatte sich denn auch deutlich verringert, und er hatte sich weniger stark in sie verstricken lassen. Das war alles, wozu er sich in der Lage sah, und bisweilen war es ihm schon viel erschienen, und er hatte sich eingeredet, Celia auf seine Art ein treuer Ehemann zu sein. Denn das war es, worum er sich bemühte, weil ihm nichts mehr zuwider war, als sie zu verletzen. Und das zu verhindern, war er bereit, eine Menge zu tun. Fast alles.
    Um Viertel nach zehn rief er seinen Bruder an. Conrad war achtzehn Monate jünger als er, schlanker, aber mit mehr grauen Haaren an den Schläfen. Charles hatte ihn immer bewundert, weil er soviel ausgeglichener, freundlicher, rücksichtsvoller und anteilnehmender war als er selbst. Sie waren stets gut miteinander ausgekommen, und ihre geschäftliche Partnerschaft hatte sich für beide in all den Jahren als vorteilhaft erwiesen. Conrad war der einzige Mensch, dem sich Charles, was seine Affären anging, rückhaltlos anvertrauen konnte; er hatte bei diesen Gelegenheiten immer eine gewisse Abgeklärtheit und großes Verständnis an den Tag gelegt.
    »Hast du eigentlich vor, heute noch mal hier vorbeizukommen, Conrad? Es ist schon nach zehn!«
    »Ja, ich weiß. Zwanzig nach. Und in genau vierzig Minuten geht mein Zug. Du scheinst vergessen zu haben, daß ich heute wegfahre; dabei kam der Vorschlag dazu von dir.«
    »Ja, du hast recht. Jetzt fällt es mir wieder ein. Entschuldige. Ich werde wohl alt.«
    »Ach, tröste dich, da bist du nicht der einzige.«
    »Conrad … ich … äh, ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    »Ja?«
    »Es ist auch wirklich das letzte Mal; ich verspreche es.«
    »Kannst du mir das schriftlich

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