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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho
Autoren: Colin Dexter
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am Bridge, ohne gleich eine Wissenschaft daraus machen zu wollen. Der Club war in einer großen Villa im Middle Way untergebracht, einer eleganten Wohnstraße westlich der Banbury Road und parallel zu ihr, die Squitchey Lane mit South Parade verband. Die Räume waren dem Club von der Besitzerin der Villa, Mrs Gwendola Briggs, die auch Clubpräsidentin war, zur Verfügung gestellt worden. Mrs Briggs war eine quirlige, für ihr Alter etwas zu schrill gekleidete Witwe Mitte Sechzig, die auch sämtliche anderen Funktionen, die der Club zu vergeben hatte – angefangen von der Sekretärin bis hin zur Schatzmeisterin –, an sich gezogen hatte. Sie begrüßte Walters bei seinem Eintritt mit geradezu überschwenglicher Herzlichkeit, was allerdings an einem Mißverständnis lag: sie hatte im ersten Moment angenommen, daß es sich bei ihm um einen Neuzugang – dazu noch einen durchaus attraktiven Neuzugang – handele, und ihre Freude mag verständlich scheinen, wenn man weiß, daß der Club ansonsten vorwiegend weibliche Mitglieder hatte. Nachdem Walters sie über sein tatsächliches Anliegen informiert hatte, schickte sie sich mit Anstand darein. Immerhin war er an näheren Einzelheiten über den Club interessiert, und Mrs Briggs als selbsternannte Public-Relations-Agentin war nur zu gern bereit, ihn mit Informationen zu versorgen. Ms Scott (»Dazu müßte man allerdings sagen, daß sie immer einen Ring trug«) war seit einem halben Jahr Mitglied gewesen. Sie hatte eine gewisse Begabung für das Spiel gehabt und war – eine wichtige Voraussetzung – mit dem nötigen Ernst bei der Sache gewesen (»Bridge läßt sich nun einmal nicht mit links spielen, Constable«), und ihre Technik der Reizung hatte sich schon sehr verbessert. Das Ganze war wirklich eine Tragödie! In ein paar Jahren hätte aus ihr möglicherweise eine wirklich gute Spielerin werden können. Leider hatte es ihr noch sehr an Konsequenz gemangelt … aber, du meine Güte, wer wollte ihr das jetzt noch vorwerfen! Angesichts dieser … ja, es war wirklich das einzig passende Wort, dieser Tragödie! Und es war für sie alle so unerwartet gekommen! Völlig unerwartet! Nein, sie hatte nicht die geringste Ahnung, was der Grund gewesen sein konnte. Sie spielten immer am Dienstagabend, und Anne (»Mein Gott, die Arme!«) war immer regelmäßig erschienen. Man begann so gegen zwanzig Uhr und hörte oft erst nach Mitternacht auf. Ein paarmal war es sogar bis drei, vier Uhr gegangen. In der Regel waren sechzehn bis zwanzig Spieler anwesend; nur ein einziges Mal, an einem Katastrophenabend im letzten Winter, hatten sie nur zu neunt hier gesessen (»Ganze neun, Constable, stellen Sie sich vor!«). Anne hatte am Dienstag an verschiedenen Tischen gespielt, aber, so Mrs Briggs, sie sei sich ganz sicher, daß sie den letzten Rubber zusammen mit Mrs Raven (»Die Ravens aus der Squitchey Lane, vielleicht kennen Sie sie ja zufällig?«), dem alten Mr Parkes (»Er ist leider schon ziemlich klapprig!«) und Miss Edgeley (»Eine schrecklich schusselige Person!«) gespielt habe.
    Walters notierte die Adressen und verabschiedete sich. Er nahm den unangenehmen Eindruck mit, als beschränke sich für Mrs Briggs die Tragödie darauf, daß einer der Stühle an einem der grünbespannten Tische auf einige Zeit verwaist sein würde. Ob Bridge einen schlechten Einfluß auf den Charakter hatte? Wie auch immer – ganz sicher würde die Atmosphäre eines solchen Clubs, wo alles Denken um Schlemms und Strafpunkte kreiste und wo man einander nur nach der Qualität seines Spiels beurteilte, Charaktereigenschaften wie Güte oder Einfühlung nicht gerade fördern. Walters wurde auf einmal klar, warum ihn Bridge oder ähnliche Spiele nie gereizt hatten.
     
    Sein erster Besuch galt Miss Edgeley, doch wie sich schnell herausstellte, war sie nicht da. Ihre Freundin, mit der sie die Wohnung teilte, ein hübsches dunkelhaariges Mädchen, erklärte ihm, Cathy habe am Morgen ein Telegramm erhalten, daß ihre Mutter schwer erkrankt sei und sei deshalb sofort nach Hause gefahren. Die Mutter lebe in Nottingham. Sie bot ihm eine Tasse Tee an, die er jedoch dankend ablehnte.
    »Wo arbeitet Miss Edgeley?«
    »Sie studiert noch. Sie ist am Brasenose College.«
    »Ach, haben sie da jetzt auch Frauen?«
    »Soviel ich weiß, hatten sie da schon immer Frauen«, sagte das Mädchen.
    Aber Walters war manchmal etwas begriffsstutzig; er runzelte leicht die Stirn, ließ es aber auf sich beruhen, denn er hatte es eilig,
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