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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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an?«
    »Wie du – kurz vor dem Frühstück.«
    »Hat diese Anne Scott Selbstmord begangen, Max?«
    »O nein! Nicht du auch noch!«
    »Ja oder nein?«
    »Ich interessiere mich, wie du langsam wissen solltest, Morse, nur für die Verletzungen und ihre Folgen, also in diesem Fall ihren Tod. Zu erklären, wie sie zu diesen Verletzungen kam, ist eure Sache.«
    »War es Selbstmord, Max? Es ist mir wichtig, deine Meinung zu wissen.«
    Am anderen Ende entstand ein langes Schweigen. Doch schließlich hatte er sich offenbar zu einer Antwort durchgerungen: »Ja.«
     

ZWEITES BUCH
     

Kapitel Zehn
     
    … die Noten
    Sind der Notiz nicht wert,
    notiert Euch das.
    Shakespeare,
    Viel Lärmen um nichts,
    2. Akt, 3. Szene
     
    Am Samstag, vier Tage nach dem Gerichtstermin, bei dem über die Todesursache von Anne Scott befunden worden war, klopfte in Canal Reach ein Mann an die Tür von Nr. 2 und erklärte der nervösen, hochschwangeren jungen Frau, die ihm öffnete, er sei im Auftrag des Archivs der Bodleian Library unterwegs zwecks Forschungen über die sozioökonomische Entwicklung Jerichos in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Sie konnte ihm dazu, wie nicht anders zu erwarten, nicht viel sagen, und er verabschiedete sich höflich und ging weiter zum Nachbarhaus. Dort war anscheinend niemand da. Der Mann in Nr. 6, ein Hüne in mittleren Jahren, dessen Arme von den Schultern bis hinunter zu den Handgelenken über und über tätowiert waren, riet ihm schroff, ›Leine zu ziehen, aber ganz schnell, mit ihnen habe er nichts am Hut‹. Offenbar war er der Annahme, ein in Missionstätigkeit sich übendes Sektenmitglied vor sich zu haben. In Nr. 8 traf er einen schmalen, blassen jungen Mann mit Brille an, der sich in bezug auf die lokale Geschichte als wahre Fundgrube erwies. Der Mann von der Bodleian Library kam gar nicht schnell genug nach … ›Wichtigstes Jahrzehnt 1821 – 31, dazu eine Monographie von Eliza M. Hawtrey (? -1954) – müßte bei Ihnen in der Bibliothek eigentlich vorhanden sein, würde ich gern mal reinsehn – unterschiedliche Dachkonstruktionen, Backstein, Schiebefenster – ein Mensch ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder – Ansiedlung von Künstlern – 1825 Lucy’s Eisengießerei – Umzug der Oxford University Press auf ihr heutiges Grundstück 1826 – und nicht zu vergessen: der Kanal, Oxford-Banbury-Coventry-Midlands, fertiggestellt 1790 – nicht zu vergessen auch St. Paul’s, begonnen 1835, und St. Barnabas, begonnen 1869.‹
    »Wunderbar – wirklich ganz wunderbar!« sagte der Mann von der Bodleian Library, der den Auftrag hatte, die sozioökonomische Entwicklung Jerichos in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu erforschen, als der Redestrom des jungen Mannes erste, nicht unwillkommene Anzeichen zeigte, allmählich nachzulassen. »Höchst interessant und, vor allem, von so immenser Wichtigkeit. Sie sind Historiker, nehme ich an?«
    »Nein, nein. Ich arbeite bei Morris in Cowley.«
    Der Mann von der Bodleian Library mußte erst noch einen langen Vortrag, in dem ihm ungeahnte Einzelheiten über den Bau der Eisenbahn offeriert wurden, über sich ergehen lassen, für den er sich, seiner Rolle entsprechend, lebhaft bedankte, ehe es ihm gelang, sich zu verabschieden. Als die Tür von Nr. 8 sich endlich schloß, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Die meisten Anwohner würden inzwischen von seiner Anwesenheit Kenntnis haben – ganz wie es in seiner Absicht gelegen hatte. In Nr. 10 machte niemand auf; das Fahrrad war nicht da. Er überquerte die schmale (wirklich lächerlich schmale!) Straße und klopfte an die Tür von Nr. 9, dreimal, laut und vernehmlich, während er verstohlen die Türklinke herunterdrückte. Es war abgeschlossen. Zur Begrüßung von Mrs Purvis in Nr. 7 setzte er sein gewinnendstes Lächeln auf, und als sie hörte, daß er damit befaßt sei, für die Royal Architectural Society ein Buch über die Innenaufteilung – zwei Räume unten, zwei Räume oben – bestimmter um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gebauter Häuser zu schreiben, lud sie ihn umgehend ein, doch näherzutreten. Zehn Minuten später saß er hinten in dem niedrigen Küchenanbau, vor sich eine Tasse Tee, und gab sich den Anschein, als könne er sich nichts Schöneres vorstellen, als mit ihr zu plaudern, so daß Mrs Purvis ihrer verheirateten Tochter am nächsten Tag begeistert berichtete, sie habe noch nie einen so wohlerzogenen und gebildeten

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