Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
schien ihn zu befriedigen, und er kehrte zu seinem Wagen zurück. Er fuhr nur knapp hundert Meter, dann hielt er an und notierte sich den Namen der Querstraße vor ihm. Er setzte seinen Weg fort, bog einige Ecken weiter nach links ab in die Squitchey Lane, folgte ihr bis zur Banbury Road, bog erneut nach links ab, gelangte wieder auf den North Way und fuhr in westlicher Richtung, bis er auf die Woodstock Road stieß. Er ging mit der Geschwindigkeit herunter und blickte konzentriert um sich; er schien sich Einzelheiten der Umgebung einprägen zu wollen. Als er die Höhe der Squitchey Lane erreicht hatte, gab er Gas und brauste davon. Sein Plan stand fest.
     
    Am selben Abend gegen zehn Uhr öffnete Michael Murdoch zum erstenmal die Augen und erblickte über sich das freundlich-besorgte Gesicht von Schwester Warrener. Sie lächelte ihn an, und er registrierte mit hypersensibilisiertem, fast schmerzhaft scharfem Wahrnehmungsvermögen jede kleinste Unregelmäßigkeit ihrer kräftigen weißen Zähne und die Goldkrone ganz hinten, dort, wo das Lächeln schon fast nicht mehr hinreichte.
    »Fühlen Sie sich besser?«
    Er fühlte eigentlich gar nichts, nicht einmal Erstaunen, daß er hier lag, und nickte nur leicht mit dem Kopf, weil das am einfachsten war. Er schloß wieder die Augen und spürte plötzlich, wie er fiel und fiel und fiel … Ihm brach der kalte Schweiß aus, doch eine kühle Hand auf seiner Stirn holte ihn wieder zurück, und er beruhigte sich. Doch nur für einen Moment. Dann öffnete sich sein Mund zu einem stummen Schrei des Entsetzens. Vor Grauen wie gelähmt, beobachtete er, wie die große, braune Ratte neben seinem Ohr unaufhaltsam Zentimeter um Zentimeter näher kam, während ihr nackter, rosa Schwanz tief und tiefer in sein Ohr glitt. Ihre spitze Schnauze war leicht geöffnet, und er wußte, daß sie sich im nächsten Moment mit ihren scharfen kleinen Zähnen hineinfressen würde in jene grauweiße Masse direkt vor ihr.
    Die Masse war sein Gehirn.
    Er schrie gellend auf.
     
    Miss Catharine Edgeley kehrte an diesem Abend nach etwas mehr als einwöchiger Abwesenheit aus Nottingham zurück. Ihre Mutter war vor vier Tagen an einem Hirntumor gestorben. Gestern hatte man sie beerdigt. In Miss Edgeleys Gedanken war wenig Raum für etwas anderes als den gerade erlittenen Verlust. Ganz bestimmt nicht für den letzten Bridgeabend. Und auch nicht für Anne Scott. Sie wußte nicht einmal, daß Anne tot war.
     

Kapitel Dreizehn
     
    Sit Pax in Valle Tatnesis
    Wahlspruch der
    Thames Valley Police Authority
     
    Zu seinem eigenen Erstaunen fühlte sich Morse, obwohl seinem Vorhaben nun doch nicht der friedliche Ausgang beschieden gewesen war, den er sich gewünscht hatte, merkwürdig ruhig. Während er tat, wie ihm befohlen, und, den Blick starr geradeaus, ›immer schön weiter‹ ging, stellte er sich mit geradezu frivoler Unbekümmertheit vor, daß er, wenn er ein Deutscher wäre, seine Situation als ernst, aber nicht hoffnungslos, wenn er dagegen ein Österreicher wäre, als hoffnungslos, aber nicht ernst charakterisieren würde. Oder war es genau andersherum? Bevor er sich entschieden hatte, war er von seinem unsichtbaren Begleiter um die Ecke dirigiert worden und fand sich zu seiner Verblüffung neben einem dort geparkten Polizeiwagen wieder. Er drehte sich abrupt um und sah, schräg nach oben blickend, in das erschrockene Gesicht eines noch ziemlich jungen Mannes.
    »Oh, Sir! Sie, Sir!« Es war Walters. Morse stieß einen tiefen Seufzer aus, eine Mischung aus Ärger und Erleichterung, und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Ich hoffe, das Verhaften von Vorgesetzten wird Ihnen nicht zur lieben Gewohnheit.«
    Sie fuhren zu Morse nach Hause – der Chief Inspector in seinem Lancia vorweg, Walters, noch immer etwas verwirrt, im Polizeiwagen hinterher. Morse stellte Whisky und Gläser auf den Tisch und begann dann freimütig über seine reichlich unorthodoxen Ermittlungen zu berichten. Walters mochte ihm an Offenheit nicht nachstehen und bekannte, daß ihm Morses Rolle in der ganzen Angelegenheit schon etwas merkwürdig vorgekommen sei, berichtete dann über die Ergebnisse seiner bisherigen Nachforschungen und äußerte seine Besorgnis über gewisse, immer noch vorhandene Ungereimtheiten, derentwegen er die ganze Sache noch weiter verfolgen wolle. Daß er zu so später Stunde noch in Canal Reach aufgetaucht war, hatte allerdings einen banaleren Grund. Er hatte bis spät in den Abend auf dem Revier in

Weitere Kostenlose Bücher