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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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der St. Aldate’s Street zu tun gehabt und im Anschluß daran den Taschenkalender für das laufende Jahr, den sie in Anne Scotts Schreibtisch gefunden und mitgenommen hatten, zurückbringen wollen. Er habe gerade vor ihrem Haus gestanden, als er einen dunklen Schatten durch das Tor der Bootswerft habe schleichen sehen. Die Gestalt sei ihm verdächtig vorgekommen. Er habe sich an die Hauswand gedrückt und abgewartet, bis der Unbekannte auf der anderen Straßenseite ein Stück weitergegangen sei, um dann hinterherzugehen. Morse hörte ihm mit ausdrucksloser Miene und ohne ihn zu unterbrechen zu, so als stehe er über den Dingen. Ganz zu Anfang, als Walters über die Ungereimtheiten gesprochen hatte – den Küchenschemel und den Schlüssel auf der Matte hinter der Tür –, hatte er gleichmütig genickt. Entweder waren ihm die beiden Tatsachen unwichtig oder aber in ihrer Bedeutung klar. Nur bei Walters’ Vermutungen hinsichtlich Mrs Gwendola Briggs’ Gefühllosigkeit war einen Moment lang ein zorniges Blitzen in seine Augen getreten.
    »Sie sind in einer schwierigen Lage, junger Mann«, sagte Morse, als Walters seinen Bericht beendet hatte. »Sie kommen dahinter, daß einer Ihrer Vorgesetzten ohne dienstlichen Auftrag in einem fremden Haus herumschnüffelt, in einem Haus, dem er laut Aussage eines Zeugen schon vorher einen Besuch abgestattet hat, und zwar ausgerechnet an dem Tag, an dem eine Frau dort Selbstmord begangen hat … Tja, Walters, was tun Sie denn da nun?«
    »Ich weiß es nicht, Sir.«
    »Das sollten Sie aber!« Die plötzliche Schärfe in Morses Ton ließ Walters erschrocken zusammenzucken. »Gebrauchen Sie Ihren Verstand, Mann! Die erste Frage, die Sie mir hätten stellen müssen, ist doch, wie ich überhaupt hineingekommen bin. Als Polizeibeamter darf man sich nie damit begnügen, sich anzuhören, was einem erzählt wird. Was nicht erzählt wird, ist meist ungleich wichtiger.«
    Walters öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Morse fuhr schon fort: »Wie lange sind Sie jetzt schon bei uns?«
    »Insgesamt achtzehn Monate, aber die ersten fünfzehn …«
    »Es wird Zeit, daß Sie anfangen zu lernen, Constable.«
    »Ich bin die ganze Zeit dabei, Sir.«
    Morse griente ihn plötzlich an. »Na schön. Dann sperren Sie mal die Ohren auf, denn jetzt werde ich Ihnen erklären, worin Ihre Pflicht besteht. Ich nehme an, daß Sie sich darüber noch nicht völlig im klaren sind. Also: Sie werden über alles, was heute abend geschehen ist, Inspector Bell Bericht erstatten. Verstanden?«
    Walters nickte. Genau dieser Punkt hatte ihm schweres Kopfzerbrechen bereitet, und er war Morse dankbar, daß er ihm den Weg aus dem Dilemma wies. Wieder wollte er etwas sagen, aber Morse redete schon weiter.
    »Aber nicht gleich morgen, haben Sie gehört? Als erstes muß der Assistant Chief Constable informiert werden. Und das möchte ich selber tun.«
    Er goß Walters und sich selbst einen kräftigen Schluck nach und begann dann, den jungen Constable nach seiner Ausbildung, seinen Beförderungsaussichten und seinen Plänen zu befragen. Walters blühte angesichts von Morses Interesse förmlich auf und gab lebhaft und ausführlich Auskunft. Um halb eins stand für ihn fest, daß es sein größter Wunsch war, mit diesem Mann arbeiten zu können. Und eine Viertelstunde später, beim Abschied, händigte er Morse auf dessen Bitte hin bereitwillig und ohne zu zögern Anne Scotts Taschenkalender aus. An diesem Abend hätte Morse ihn noch um ganz andere Dinge bitten können.
    Schon draußen auf dem Gartenweg, drehte er sich jedoch plötzlich noch einmal um: »Sir, was ich Sie die ganze Zeit noch fragen wollte … Wie sind Sie denn nun wirklich hineingekommen? Hatten Sie einen Schlüssel, oder …?«
    »Man braucht nicht unbedingt einen Schlüssel, um eine Tür zu öffnen, Constable. Das ist auch etwas, was Sie noch lernen werden. An der Hintertür befindet sich ein Yale-Schloß. Und ein Yale-Schloß aufzubekommen ist – wenn man weiß wie – ein Kinderspiel. Man braucht nur ein Stück flaches Plastik, eine Kreditkarte zum Beispiel, und …«
    »Ich weiß, wie es geht. Aber ich dachte, so was machen sie nur in Fernsehkrimis.«
    »So?«
    »Ja. Und das Schloß an der Hintertür ist gar kein Yale-Schloß. Da müssen Sie sich wohl geirrt haben. Gute Nacht, Sir. Und vielen Dank für den Whisky.«
    Morse ging, obgleich er müde war, nicht sofort zu Bett, sondern beschäftigte sich noch bis gegen drei Uhr früh mit den beiden

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