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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Abends mit allen Anwesenden irgendwann, wenn auch vielleicht nur kurz, gesprochen hatte.
    »Alles in allem war es also ein ganz normaler Bridgeabend wie sonst auch?« fragte Morse abschließend.
    »Nun, wie man’s nimmt. Nicht so ganz. Dieser Dienstag war der erste Jahrestag unserer Clubgründung, und so haben wir gegen elf eine kurze Pause gemacht, um auf die Zukunft anzustoßen und darauf, daß es den Club noch viele, viele Jahre geben möge. Oh …« Sie hielt inne. Ihr war wohl aufgegangen, daß ihre Begeisterung in Anbetracht dessen, daß eine Mitspielerin wenige Stunden später Selbstmord begangen hatte, vielleicht fehl am Platze war, und sah Morse Entschuldigung heischend an. Doch der musterte sie nur mit einem Blick kühler Geringschätzung, und sie flüchtete sich schnell in ein verspätetes Bedauern.
    »Wenn man bedenkt, daß das nun Annes letzter Abend war … Die arme, arme Anne! Aber sie hat sich auch nie etwas anmerken lassen, sonst hätte man ja vielleicht …«
    »Hat letzten Dienstag wieder ein Bridgeabend stattgefunden?«
    »Ja, natürlich.«
    »Sie hatten nicht das Gefühl, daß man den Abend auf Grund besonderer Umstände vielleicht besser einmal hätte ausfallen lassen sollen?«
    Sie sah ihn erstaunt an. »Nein«, sagte sie entschieden und fügte ein wenig von oben herab hinzu: »Das Leben muß schließlich weitergehen, Inspector.«
    Morses Gesichtsausdruck nach zu schließen sah er dafür, was sie anging, keine unbedingte Notwendigkeit. Er enthielt sich jedoch eines Kommentars und begann statt dessen, die Gästeliste zu überfliegen. Bei dem Namen Murdoch hielt er inne. War das etwa dieselbe Mrs Murdoch, auf deren Party in Nord-Oxford Anne und er sich begegnet waren? Wahrscheinlich. Er dachte zurück an jenen ersten Abend … Nein, nicht ersten Abend, es war ja kein anderer mehr gefolgt … An jenem einen Abend also, den sie zusammen verbracht hatten, und wie sie beide dagesessen hatten, getrennt von den anderen, in einer Welt für sich. Und bestimmt wäre er mit zu ihr nach Hause gegangen. Doch dann war der Anruf gekommen … Ach, nicht mehr daran denken! Nicht an den Abend und auch nicht an sein Verhalten danach. Er hätte sich wieder bei ihr melden sollen. Aber hätte das wirklich etwas geändert? Was aber nun das Vergessen-Wollen anging, war es nicht eigentlich doch seine Pflicht, sich zu erinnern? Vielleicht hatte sie etwas gesagt, das sich erst jetzt im nachhinein als wichtig erwies. Es war jedoch eine traurige Tatsache, daß seinem Erinnerungsvermögen, was jenen Abend anging, enge Grenzen gesetzt waren. Er hatte einfach zuviel getrunken. Die Wechselwirkung zwischen Alkoholgenuß und Gedächtnisleistung war übrigens ein ausgesprochen faszinierendes Phänomen. Er hatte gerade vor kurzem etwas darüber gelesen. Wenn man dem Artikel Glauben schenken durfte, so hatten Psychologen der Universität Oxford folgendes herausgefunden: Ließ man einen Studenten in betrunkenem Zustand lernen, so war er nach ein paar Stunden, wenn er wieder nüchtern war, kaum oder gar nicht in der Lage, das Gelernte zu reproduzieren. Ließ man ihn umgekehrt zwar nüchtern lernen, gab ihm aber später Alkohol zu trinken und forderte ihn dann auf, sich an den gelernten Stoff zu erinnern, so zeigte es sich, daß auch dieser Student kaum etwas behalten hatte. Und jetzt kam der Clou: Stand nämlich ein Student, bereits während er lernte, unter Alkohol und man gab ihm weiterhin zu trinken und befragte ihn einige Stunden später, so konnte er, betrunken wie er war, den Stoff hervorragend wiedergeben. Er hätte also, dachte Morse, um sich den Abend wieder ins Gedächtnis rufen zu können, gar nicht mehr nüchtern werden dürfen … Aber dafür war es nun zu spät. Leider. Denn er war sich fast sicher, daß sie irgend etwas gesagt hatte, an das er sich hätte erinnern sollen. Einen Moment lang, er war schon an der Tür, meinte er, eine Idee zu haben, was es gewesen sein könnte … Doch schon verflüchtigte sie sich wieder. Er fühlte sich plötzlich gereizt und frustriert, und sein einziger Trost war die Hoffnung auf ein Bier. Doch da würde er noch etwas Geduld haben müssen, die Pubs machten erst in zwei Stunden auf.
    Er hörte, wie Mrs Briggs mit Nachdruck hinter ihm die Tür schloß, und fragte sich einen Augenblick, ob er nicht doch etwas verbindlicher hätte sein sollen. Doch dann schüttelte er den Kopf. Nein, er hatte sie behandelt, wie sie es verdiente.
     
    Morse fuhr nach Nord-Oxford, um Mrs Murdoch

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