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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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schon fertig, und wenn sie sowieso keinen Preis zu erwarten hatte … Aber das ist jetzt nur so eine Vermutung von mir. Ich habe Anne gesagt, daß ich den Brief mitnehmen könne, und sie holte ein Blatt Papier heraus und stellte sich an die Anrichte …«
    »Sie hat die Nachricht dort geschrieben?«
    »Ja. Auf der Anrichte. Ich habe noch ihren eleganten Kugelschreiber bewundert. Ein silberner Parker.«
    »Was hat sie auf Sie für einen Eindruck gemacht? War sie bedrückt?«
    »Nein, das würde ich nicht sagen. Eher ein bißchen hektisch. Aber wir hatten alle etwas getrunken …«
    »So gegen elf haben Sie doch eine Pause eingelegt, um auf das einjährige Bestehen Ihres Clubs anzustoßen. Da werden Sie doch vermutlich alle etwas zusammengestanden und sich unterhalten haben. Können Sie sich noch erinnern, um was es da ging? Ich meine, mal abgesehen von Bridge.«
    Miss Edgeley schüttelte den Kopf und lächelte bedauernd.
    »Nein, es tut mir leid, aber es ist jetzt schon fast vierzehn Tage her.«
    »Denken Sie nach, es fällt Ihnen bestimmt wieder ein!« bat Morse beschwörend. Es schien ihm viel daran zu liegen, und so versuchte sie, sich zu konzentrieren. Worüber hatten sie denn bloß gesprochen? Über das Wetter? Über die steigenden Preise? Auch nicht. Moment! Jetzt hatte sie’s. Kinder. Sie hatten über Kinder gesprochen. Es hatte da vor einiger Zeit einen Aufruf von Oxfam gegeben, man möge Geld spenden für kambodschanische Flüchtlingskinder. Oder waren es koreanische Kinder gewesen? Egal. Jedenfalls für Kinder in einem dieser Länder da unten in Asien.
    Morse seufzte innerlich. Sehr hilfreich war das ja alles nicht. Aber immerhin wußte er jetzt, daß Anne wenige Stunden vor ihrem Tod Edward Murdoch noch eine Nachricht hatte zukommen lassen wollen. Merkwürdig, daß der Junge dies keiner Erwähnung für wert befunden hatte. Da würde er noch einmal nachhaken.
    Armer Morse! Da hatte er soeben eine wichtige Information erhalten und es nicht einmal gemerkt. Irgendwann fiel es ihm auf – aber erst sehr viel später.
     

Kapitel Fünfzehn
     
    Zeit heilt die Herzen von Zärtlichkeit,
    und jetzt kann ich sie gehen lassen.
    Thomas Hardy, Wessex Heights
     
    Am nächsten Morgen fand Morse in seiner Post das monatliche Rundschreiben der Oxforder Literarischen Gesellschaft. Er öffnete es, während er beim Frühstück saß, überflog ohne sonderliches Interesse den begeisterten Bericht über Dame Helens Vortrag, nahm zur Kenntnis, daß möglicherweise im Dezember ein Buchbasar in Aussicht stand, und wollte die zusammengehefteten Blätter gerade zur Seite legen, als er plötzlich innehielt.
     
    Mit tiefer Erschütterung haben wir erfahren, daß u n ser Mitglied Anne Scott am 3. Oktober plötzlich verstorben ist. Miss Scott arbeitete seit Anfang des Jahres im G e schäftsführenden Ausschuß mit. Wir schätzten sie wegen ihrer steten Freundlic h keit und Bereitschaft, sich auch für weniger a n genehme Pflichten mit großer Selbstverständlic h keit zur Verfügung zu stellen. Mehr als einmal hat uns ihr konstruktiver Rat in schwierigen Situati o nen geholfen. Wir werden sie vermissen. Der Vo r sitzende hat als Vertreter der Oxforder Literar i schen Gesellschaft an der Beerdigung teilgeno m men.
     
    Morse nickte wehmütig. Vielleicht, nein ziemlich sicher sogar hätten er und Anne sich an jenem Abend im Clarendon Institute wiedergetroffen, wenn sie nicht … Und wenn er nicht so träge gewesen wäre und schon früher regelmäßig an den Veranstaltungen der Gesellschaft teilgenommen hätte, dann … Wenn, wenn, wenn … Eine verpaßte Chance mehr. Aber solche nicht gesehenen und nicht genutzten Möglichkeiten machten wohl einen Teil eines jeden Lebens aus. Auf dem letzten Blatt sprang ihm ein fettgedruckter Hinweis in die Augen:
     
    Unsere nächste Veranstaltung findet nicht, wie angekündigt, am Mittwoch dem 24. 10., sondern bereits am kommenden Freitag, dem 19. statt. Unser Gastredner Mr CHARLES RICHARDS b e dauert die kurzfristige Terminverschiebung, die auf Grund dringender geschäftlicher Verpflic h tungen leider unumgänglich war. Das Thema von Mr Richards’ Vortrag lautet (wie bereits früher angekündigt) ›Sorgen und Freuden eines kleinen Verlegers‹. Die Wahl des Themas erfolgte auf vielfachen Wunsch, und wir hoffen auf Ihr zah l reiches Erscheinen.
     
    Morse schlug seinen Taschenkalender auf. Er hatte am Abend des 19. nichts vor und machte sich einen kurzen Vermerk. Wer weiß, vielleicht würde er

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