Die Toten Von Jericho
261 stieg er aus und ging den kiesbestreuten Weg hinauf zur Haustür. Das Garagentor war hochgeklappt, und er sah drinnen einen Rolls-Royce und einen Mini stehen – der Größenunterschied war frappierend. Auf sein Klingeln öffnete ihm Celia Richards.
»Kommen Sie herein, Inspector.«
»War das Flugzeug pünktlich?«
»Sogar ein bißchen zu früh.« Aus einem der Zimmer trat Richards in den Flur, stellte sich neben seine Frau und faßte nach ihrer Hand. Morse betrachtete sie nachdenklich. Hatte es zwischen den beiden in den letzten Stunden wirklich eine Versöhnung gegeben, oder war das alles nur Theater, inszeniert, um ihn zu täuschen? Er nickte Richards kurz zu.
»Guten Tag, Sir! Könnten wir beide vielleicht irgendwo alleine … Ich hoffe, Ihre Frau hat nichts dagegen …«
»Ich wäre sowieso gegangen, Inspector. Am besten setzt ihr euch ins Wohnzimmer, Charles. Du kannst mir ja Bescheid sagen, wenn das Gespräch beendet ist.« Ihre Stimme klang gelöst, fast heiter, und als sie sich jetzt umwandte und durch eine der Türen verschwand, hatte ihr Gang einen Schwung, den er bei seinem ersten Besuch nicht an ihr bemerkt hatte.
»Sie scheint sehr froh zu sein, Sie zurückzuhaben, Sir«, sagte er, nachdem sie beide Platz genommen hatten und sich an dem Wohnzimmertisch gegenübersaßen.
»Ja, ich weiß.«
»Unter den gegebenen Umständen eigentlich recht erstaunlich, oder?«
»Sie sind doch sicher nicht hergekommen, um mit mir über meine Privatangelegenheiten zu sprechen, nehme ich an?«
»Ich fürchte, so ganz werden wir Ihre Privatangelegenheiten nicht ausklammern können.«
»Aber welche Beziehung ich zu meiner Frau habe, dürfte für Sie ja wohl kaum von Wichtigkeit sein.«
»Nein, da mögen Sie recht haben, Sir.«
»Ich wäre Ihnen übrigens dankbar, wenn Sie aufhören würden, mich fortwährend mit Sir zu titulieren.«
»Mein Sergeant sagt zu mir auch immer Sir. Das ist einfach eine etwas formale Form der Anrede, Sir … oh, Entschuldigung, Mr Richards.« Morse zog bedächtig eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche, als liege ihm daran, den Eindruck zu vermitteln, daß sie von seiner Seite aus nicht unter Zeitdruck stünden.
»Sie gestatten doch, daß ich rauche?«
»Ja, ja. Bitte rauchen Sie nur.« Richards stand auf, holte vom Kamin einen Aschenbecher und stellte ihn vor Morse auf den Tisch.
»Sie auch eine?« fragte Morse und hielt ihm die Packung hin, aber Richards schüttelte nur, ein wenig ungeduldig, wie es schien, den Kopf. »Nein danke. Im Moment nicht. Sie sind wegen Anne Scott hier, nicht wahr?«
»Ja, unter anderem auch ihretwegen.«
»Wenn wir vielleicht jetzt anfangen könnten …«
»Selbstverständlich. Zunächst einmal würde ich gerne von Ihnen wissen, wo sich Ihr Bruder Conrad zur Zeit aufhält.«
»Keine Ahnung. Das weiß ich selbst nicht.«
»Hat er sich eigentlich bei Ihnen gemeldet, während Sie in Spanien waren?«
»Ja. Er hat mich angerufen und mir erzählt, daß Sie einen Beamten vorbeigeschickt hätten, um seine Fingerabdrücke zu nehmen.« Er verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln und schüttelte leicht den Kopf.
»Ihr Bruder hatte nichts dagegen einzuwenden.«
»Warum sollte er auch?«
»Ja, in der Tat – warum sollte er.«
»Ich wüßte allerdings schon gerne, wieso Sie überhaupt auf die Idee gekommen sind. Irgendeinen Grund müssen Sie doch gehabt haben.«
»Ich hielt es für möglich, daß er der Mörder von Jackson sei.«
»Was? Conrad?! Dann müssen Sie ja ganz schön im dunkeln getappt sein, wenn Sie ausgerechnet auf ihn verfallen sind.«
»Das sind wir wohl zu dem betreffenden Zeitpunkt auch noch.«
»Wollen Sie meine Fingerabdrücke auch haben?«
»Nein, das ist unnötig. Sie haben ja ein hieb- und stichfestes Alibi – ich selbst bin ja sozusagen Ihr Hauptentlastungszeuge.«
»Ich dachte immer, die Aufgabe der Polizei bestünde genau darin, solche sogenannten hieb- und stichfesten Alibis zu knacken. In Kriminalromanen ist der Täter doch meist der mit dem absolut wasserdichten Alibi.«
Morse nickte. »Ich weiß aber, daß das auf Sie nicht zutrifft. Ich kenne nämlich Jacksons Mörder. Und Sie sind es nicht.«
»Na, das ist ja direkt mal eine erfreuliche Mitteilung.«
»Man hat Ihnen sicher mitgeteilt, daß wir Ihr Büro durchsucht haben.«
»Ja.«
»Sie können sich wohl denken, was wir da fanden?«
»Den Erpresserbrief. Es war dumm von mir, ihn aufzuheben.«
»Also, mir haben Sie damit einen Gefallen getan. Mir
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