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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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aufschreiben und Ihnen dann schicken.«
    »Nein, das wird leider nicht gehen.« Morse schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Aussage muß im Beisein eines Polizeibeamten unterschrieben werden. Wieder so eine Vorschrift.«
    »Na gut. Dann schicken Sie Ihren Sergeant eben vorbei, wenn es sein muß. Wollen wir gleich einen Termin ausmachen?«
    »Nein, ich glaube, das beste wird sein, daß Sie sich im Präsidium melden, wenn Sie wieder zurück sind. Verlangen Sie Sergeant Lewis, den kennen Sie ja schon.«
    »Montag in einer Woche dann?«
    »Wie es Ihnen paßt. Ich denke, das wäre jetzt alles. Es tut mir leid, daß ich Sie so lange aufgehalten habe.«
    »Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee anbieten?«
    »O nein, vielen Dank, aber ich muß zurück. Bitte grüßen Sie doch Mrs Richards von mir.« Richards begleitete ihn zur Tür.
    »Dürfte ich wohl mal ganz kurz einen Blick auf Ihren Rolls-Royce werfen? – atemberaubend«, stellte er bewundernd fest.
    »Soll ich gerade das Fahrrad vorholen? Vielleicht wollen Sie es sich ansehen. Es ist ja fast so eine Art Corpus delicti.« Richards lächelte zerknirscht.
    Morse schüttelte den Kopf. »Nein, lassen Sie nur.«
    Sie verabschiedeten sich, und Morse ging zum Wagen, wo Lewis, geduldig wie immer, seiner Rückkehr harrte.
    »Na?« fragte Morse, nachdem er eingestiegen war und neben Lewis Platz genommen hatte.
    »Sie hatten recht, Sir.«
    Morse lehnte sich zufrieden ins Polster zurück. »Der Köder ist ausgeworfen, Lewis. Jetzt brauchen wir bloß zu warten, bis der Fisch anbeißt.«
    » Wenn er anbeißt.«
    »Er wird, er wird – keine Sorge. Sie hätten mich mal hören sollen, Lewis. Eine grandiose Vorstellung. Sie haben wirklich etwas verpaßt.«
    »Das glaube ich Ihnen gerne, Sir.«
    »Warum reden Sie mich eigentlich immer mit Sir an?«
    »Das ist doch so üblich bei Vorgesetzten, Sir. Ein Zeichen von Respekt oder so.«
    »Denken Sie denn, ich habe Respekt verdient?«
    »Najaa …« Lewis zögerte etwas, »inzwischen ist es eher so eine Art Gewohnheit bei mir geworden … Sir.«
    Morse lächelte. Die Dinge entwickelten sich zu seiner vollsten Zufriedenheit. Jedenfalls an der einen Front.
     

Kapitel Sechsunddreißig
     
    Prahlhans und Lügner sind nahe Verwandte.
    Geoffrey Chaucer, »Troylus and Criseyde«
     
    Die Schwester hatte, wie verabredet, im Präsidium angerufen und ihnen Bescheid gegeben. Michael Murdoch war in die Augenabteilung des Radcliffe in der Walton Street verlegt worden, und so saßen Morse und Lewis am Dienstagabend gegen acht Uhr auf dem Flur vor der Tür zur Station und warteten darauf, daß Edward Murdoch den Besuch am Krankenbett seines Bruders beenden würde. Schließlich hörten sie Schritte, und er trat durch die Tür. Bei Morses Anblick blieb er überrascht und ein wenig verunsichert stehen. Morse verzichtete auf jede Erläuterung und wies nur stumm auf einen Stuhl. Edward hatte sich kaum gesetzt, als Morse ihn schon fragte: »Buchstabier mir mal erzählen. «
    Der Junge schluckte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Morse sah ihn scharf an, schob ihm schweigend den Erpresserbrief über den Tisch, und der Junge wurde über und über rot, senkte den Blick und schwieg.
    »Du kannst dir die Antwort sparen, die Frage war sowieso nur rhetorisch gemeint. Ich weiß, daß du erzählen richtig schreiben kannst – es sei denn, du hättest einen ganz bestimmten Grund, einen Fehler einzubauen. Nein! Faß den Brief bitte nicht an. Er muß noch auf Fingerabdrücke untersucht werden.«
    Der Junge rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, schielte ab und zu nach dem Brief und schien nicht recht zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
    »Hast du selbst ihn geschrieben, oder war es dein Bruder?« fragte Morse, nachdem eine Weile ungemütliches Schweigen zwischen ihnen geherrscht hatte.
    Der Junge schüttelte heftig den Kopf. »Sie machen wohl Witze«, sagte er pampig.
    »Sie behaupten also, daß Sie ihn nicht geschrieben haben«, stellte Lewis sachlich fest.
    »Freut mich, daß Sie das begriffen haben«, sagte der Junge.
    »Na gut, das wollte ich ja nur wissen.« Lewis blieb ganz ruhig. Er beugte sich zu Morse hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    Morse wiegte den Kopf, als handele es sich um eine heikle Entscheidung, die er da treffen müsse, nickte Lewis schließlich zu und sagte: »Ja, machen Sie nur.«
    »Jetzt gleich?« fragte Lewis.
    Morse nickte erneut. Lewis zog einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche, nahm den Block vom Tisch,

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