Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
seine Betrügereien erinnert. Sie haben ihn daran erinnert, dass das Einzige, was er noch mehr wollte als Ruhm, wahres Talent war.«
»Wir wollen, dass uns die Menschen für das mögen, was wir nicht sind, was wir zu sein vorgeben… oder in meinem Fall, all die Menschen, die ich vorgegeben habe zu sein«, sagte Ortega und wurde immer dramatischer. »Ich frage mich, ob ich bei meinem Tod zu Boden sinken werde und all die Figuren, die ich je dargestellt habe, in einem verdichteten Gebrabbel aus mir herausströmen werden wie aus einem Verrückten mit einem schweren Tourette-Syndrom, sodass am Ende nur eine leere Hülle übrig bleibt, die der Wind hierhin und dorthin weht.«
»Ich glaube nicht, Pablo«, sagte Falcón. »Bis Sie eine leere Hülle sind, ist es ein weiter Weg.«
»Ich bestehe bloß aus Schichten«, fuhr er fort, ohne Falcón zu beachten. »Ich weiß noch, was Francisco einmal gesagt hat: ›Pablo: Die Wahrheit über eine Zwiebel ist – nichts. Wenn man die letzte Haut gelöst hat, findet man – nichts.‹«
»Nun ja, Francisco war ein Mann, der sich mit Zwiebeln auskannte«, sagte Falcón. »Menschliche Wesen sind ein wenig komplizierter. Wenn man sie entblättert…«
» Was findet man dann?«, fragte Ortega und beugte sich erwartungsvoll vor.
»Dass wir von dem bestimmt werden, was wir vor der Außenwelt verbergen.«
»Mein Gott, Javier«, sagte Ortega und nahm einen weiteren Riesenschluck Muga. »Sie sollten unbedingt einen Schluck von diesem Wein probieren. Es ist wirklich sehr, sehr gut.«
»Die Fotos, Pablo.«
»Bringen wir es hinter uns.«
»Waren es diese beiden Männer, die Sie an Noche de Reyes in Señor Vegas Haus haben gehen sehen?«
Ortega nahm die Fotos und machte sich auf die Suche nach seiner Brille.
»Ich habe Ihre Hunde heute Abend noch gar nicht gesehen«, sagte Falcón.
»Oh, die beiden schlafen, zusammengerollt in ihrem MopsMief. Ein Hundeleben ist ziemlich gut«, sagte Ortega. »Ich habe Ihnen noch gar nicht meine Sammlung gezeigt, oder?«
»Vielleicht ein anderes Mal.«
»Ich bin nicht bestimmt durch das, was ich vor der Welt verberge, sondern von dem, was ich ihr zeige «, sagte Ortega und wies mit einer ausladenden Geste auf die auf den Tischen ausgebreiteten und an die Wand gelehnten Werke seiner Sammlung. »Wissen Sie, was das Schlimmste ist, was man zu einem Sammler sagen kann?«
»Dass man ein Werk nicht mag?«
»Nein… dass man ein ganz bestimmtes Werk mag «, erwiderte Ortega. »Ich habe eine Zeichnung von Picasso, nichts Besonderes, aber unverkennbar. Ich unterteile die Menschen, denen ich meine Sammlung zeige, in zwei Gruppen. Die einen sind die, die sich mit den Worten ›Also, das gefällt mir‹ zu dem Picasso hingezogen fühlen, und die anderen sind die, die begreifen, dass es bei einer Sammlung um das Ganze geht. Sehen Sie, Javier, ich habe Ihnen eine Peinlichkeit erspart.«
»Jetzt werde ich Ihnen erst recht sagen, wie sehr ich den Picasso liebe .«
Ortega hielt mit einem Triumphgebrüll seine Brille hoch, als hätte er soeben den Europapokal gewonnen, bevor er sie beinahe ängstlich aufsetzte, als wäre es eine Falle, die er sich selbst gestellt hatte.
»Diejenigen, die es zu dem Picasso zieht, fühlen sich von der Berühmtheit angezogen. Sonst gibt es nichts zu sehen.«
»Haben Sie die Sammlung jemals einem Menschen gezeigt, der das Ganze erkannt und gefunden hat, dass…«
»…sie lückenhaft war?«, fragte Ortega. »Bis jetzt hatte noch niemand den Schneid, mir das offen ins Gesicht zu sagen. Aber ich weiß, dass es einige gab.«
»Vielleicht bedeutet es nur, dass Sie den Mut hatten, durch Ihre Sammlung alles auszudrücken. Das Gute und das Böse. Wir haben alle etwas, dessen wir uns schämen.«
»Sie müssen sie sehen«, drängte Ortega. »Die Sammlung des Schauspielers.«
Ortega bestätigte, dass die beiden Männer auf den Fotos die Russen waren, die er im Januar beim Betreten von Vegas Haus gesehen hatte. Er warf Falcón die Bilder zu und goss sein Glas noch einmal voll. Dabei zog er an seiner immer noch unangezündeten Cohiba. Die Weinflecken auf seinem Hemd hatten sich mit dem Schweiß auf seiner Brust verbreitert. Er riss sich die Brille von der Nase.
»Erinnern Sie sich an unser Gespräch über Sebastián heute Morgen?«, fragte Falcón. »Haben Sie noch einmal darüber nachgedacht?«
»Ja, das habe ich.«
»Die Psychologin, von der ich Ihnen erzählt habe – Alicia Aguado – ist
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