Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
ungewöhnlich.«
»Inwiefern?«
»Zunächst einmal ist sie blind«, sagte Falcón und berichtete Ortega von ihrer Technik, den Puls ihrer Patienten zu fühlen. »Ich habe ihr von Ihren Sorgen um Sebastián erzählt. Sie meinte, es wäre eine gute Idee, wenn Sie beide sich treffen. Sie weiß, dass Prominente Eindringlinge nicht mögen.«
»Bringen Sie sie vorbei«, sagte Ortega charmant und leutselig. »Je früher, desto besser.«
»Wie wär’s morgen?«
»Zum Kaffee«, sagte er. »Elf Uhr. Und wenn Sie sie nach Hause gebracht haben, könnten Sie ja vielleicht zurückkommen, dann zeige ich Ihnen etwas, das man bei Tageslicht sehen muss.«
Consuelo Jiménez trug ein langes blaues Crepe-Kleid und goldene Sandalen. Ihre nackten Arme waren braun und muskulös. Offenbar trainierte sie regelmäßig, und zwar ernsthaft. Sie ließ ihn im Wohnzimmer mit Blick auf die fließenden blauen Umrisse des erleuchteten Swimmingpools Platz nehmen und servierte ein Glas gekühlten Manzanilla. Dazu stellte sie ein Tablett mit Oliven, eingelegtem Knoblauch und Kapern auf den Tisch, bevor sie ihre Sandalen abstreifte.
»Raten Sie mal, wer mir heute Morgen unter charmanten Schmeicheleien und Komplimenten seine Aufwartung gemacht hat?«
»Pablo Ortega?«
»Für einen der großen Schauspieler von gestern lässt er sich doch recht leicht typisieren«, sagte sie. »Vermutlich ist die Bandbreite seines Ausdrucks begrenzt.«
»Ich habe ihn nie auf der Bühne gesehen«, sagte Falcón. »Haben Sie ihn hereingelassen?«
»Ich habe ihn eine Weile in der Hitze leiden lassen. Es hat mich interessiert, was er zu sagen hatte. Er ist ohne seine beiden Requisiten gekommen – Pavarotti und Callas. Ich wusste also, dass er nicht mit den Jungen spielen wollte.«
»Wo sind Ihre Jungen?«
»Sie sind bei meiner Schwester. Sie nimmt sie morgen mit an die Küste, und für ein Abendessen sind sie zu lebhaft. Sie würden bestimmt Ihre Waffe sehen wollen.«
»Und was wollte Pablo Ortega?«
»Über Rafaels Tod und Ihre Ermittlung reden natürlich.«
»Ich hoffe, Sie haben meine… Indiskretion nicht verraten.«
»Ich habe sie benutzt«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an, »aber nicht allzu offensichtlich. Ich habe ihm einfach das Gefühl vermittelt, auf dem falschen Sofa zu sitzen. Als er ging, wirkte er noch verlegener als bei seiner Ankunft.«
»Ich schaue mir den Fall seines Sohnes an«, sagte Falcón.
»Ich persönlich bin der Meinung, dass der Missbrauch von Kindern nicht hart genug bestraft wird«, sagte Consuelo. »Wenn ein Kind erst einmal auf diese Art beschädigt worden ist, erholt es sich nie wieder ganz. Man hat ihm seine Unschuld geraubt, und ich finde, das ist nichts anderes als ein Mord.«
Er berichtete ihr, was Montes ihm über die Manipulation der Aussage des Jungen und Sebastiáns Weigerung, sich zu verteidigen, erzählt hatte.
»Nun, das stärkt nicht gerade meinen Glauben an unser Rechtssystem«, sagte sie. »Ich habe diesen Funken von Eitelkeit bei Juez Calderón schon in Raúls Fall beobachtet.«
»Haben Sie in ihm noch etwas gesehen?«
»Was zum Beispiel?«
»Das, worüber wir neulich gesprochen haben… wie Ramírez zum Beispiel.«
»Sie meinen, jemanden auf der Suche nach Gelegenheiten?«, fragte sie. »Nun, er war ein unverheirateter Mann und konnte tun und lassen, was er wollte.«
»Ja, das ist vermutlich etwas anderes.«
»Oh, verstehe, Sie fragen mich, warum er nach Bekanntgabe seiner Verlobung mit Ihrer kleinen Wahrheitssucherin um Maddy Krugman herumschnüffelt?«
»Gibt es so etwas wie voreheliche Untreue?«
»Er war heute Nachmittag hier«, sagte sie. »Wie Sie wissen, habe ich keine festen Arbeitszeiten. Ich bin zu Hause, wenn die meisten anderen Menschen bei der Arbeit sind oder im Fall von Juez Calderón bei der Arbeit sein sollten .«
»War Marty da?«
»Ich hatte angenommen, dass es mit der Untersuchung von Rafaels Tod zu tun hat«, sagte sie kopfschüttelnd.
»Das wäre eine unübliche Vorgehensweise.«
»Die übliche Vorgehensweise ist ihm offenbar scheißegal«, sagte Consuelo. »Und warum sollte Sie das überhaupt stören? Sie sind doch nicht noch immer an Inés interessiert?«
»Nein, bin ich nicht«, sagte er, als wollte er es für sich selbst betonen.
»Lügner. Machen Sie nicht zweimal denselben Fehler, Javier«, sagte sie. »Ich weiß, dass es ein unausrottbarer menschlicher Charakterzug ist, aber man sollte sich dagegen wehren, weil all der Schmerz, der beim ersten Mal da
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