Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
mich setzen?«
Mit der Zigarette in der Hand deutete sie vage auf einen Stuhl. Falcón mochte Isabel Cano, aber manchmal konnte sie ziemlich barsch sein. Und es gab kein noch so heikles Thema, das sie nicht auf ihrem Tisch zerlegt hätte wie einen Fisch.
»Sie wissen, was ich durchgemacht habe, Isabel«, sagte er.
»Offen gestanden, nein«, erwiderte sie zu seiner Überraschung. »Ich kann mir nur vorstellen, was Sie durchgemacht haben.«
»Nun, das reicht auch«, sagte Falcón. »Tatsache ist, dass ich das Gefühl habe, alles verloren zu haben. Alles, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin, ist in Frage gestellt worden. Man braucht eine Struktur im Leben, um ein Gefühl von Zugehörigkeit zu haben. Ich habe nur meine Erinnerung, und die ist wenig zuverlässig. Aber ich habe einen Bruder und eine Schwester. Paco ist ein guter Mensch, der immer das Richtige tun wird. Bei Manuela ist die Sache aus einer Reihe von Gründen komplizierter, aber am Ende läuft es darauf hinaus, dass sie von Francisco Falcón nicht die Liebe bekommen hat, die sie sich gewünscht hat.«
»Ich habe kein Mitleid mit ihr, und das sollten Sie auch nicht haben«, sagte Isabel.
»Trotz allem, was ich über Manuela weiß, – ihre Habgier und ihr Neid – muss sie weiter meine Schwester bleiben. Ich muss hören, wie sie mich ihren hermanito nennt, ihren kleinen Bruder. Es ist sentimental, unlogisch und eine Provokation für Ihr juristisches Denken… aber so ist es nun mal.«
Isabels Ledersessel quietschte, und man hörte das leise Rauschen der Lüftung. Die Stadt hüllte sich in Schweigen.
»Und Sie glauben, dass Sie das kriegen, indem Sie ihr das Haus schenken?«
»Durch die Einigung über ein Haus, in dem ich nicht mehr leben will, eröffne ich zumindest die Möglichkeit. Wenn ich es nicht tue, werde ich ihren ganz Hass abbekommen.«
»Sie glauben vielleicht, dass Sie sie brauchen, aber sie weiß, dass sie Sie nicht braucht. Sie sind entbehrlich geworden, weil Sie kein vollwertiger Blutsverwandter mehr sind. Sie sind bloß ein Hindernis«, sagte Isabel. »Wenn man Menschen wie Manuela etwas gibt, wollen sie nur mehr. Sie ist unfähig zu lieben. Ihr Geschenk wird Ihnen nicht das bringen, was Sie sich ersehnen, sondern nur Widerwillen erzeugen und ihrem Hass noch mehr Nahrung liefern.«
Jeder Satz war wie eine schallende Ohrfeige, so als wollte sie einen Hysteriker in die Wirklichkeit zurückholen.
»Sie haben wahrscheinlich Recht«, sagte er, erschüttert von ihren harten Worten, »aber ich muss dieses Wagnis eingehen und hoffen, dass Sie sich irren.«
Sie gestikulierte mit ihren Händen in der Luft, versicherte ihm aber, dass sie einen Brief für ihn aufsetzen würde. Er bot ihr an, sie auf einen Drink und Tapas ins El Cairo einzuladen, doch sie lehnte ab.
»Ich würde Ihnen hier etwas anbieten, aber ich habe keinen Alkohol in der Kanzlei«, sagte sie.
»Dann lassen Sie uns ins El Cairo gehen«, wiederholte Falcón.
»Ich möchte nicht riskieren, dass das, worüber wir jetzt sprechen, zum Stadtklatsch wird.«
»Haben wir noch etwas zu besprechen?«
»Es geht darum, was Sie heute Morgen erwähnten.«
»Esteban Calderón«, sagte Falcón und nahm wieder Platz.
»Haben Sie mich nach ihm gefragt, weil er vorhat, Inés zu heiraten? Erinnern Sie sich noch, wer Ihre Scheidung mit Inés abgewickelt hat?«
»Sie.«
»Und warum interessieren Sie sich dann für Estebans Geschichte?«
»Ich mache mir Sorgen… um Inés.«
»Halten Sie Inés für ein süßes Unschuldslämmchen, das beschützt werden muss?«, fragte Isabel. »Denn ich kann Ihnen versichern, dass sie das nicht ist. Dieses Haus, das Sie so unbedingt an Manuela verschenken wollen… Ich musste es mit Zähnen und Klauen gegen Inés’ Ansprüche verteidigen. Ihretwegen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie weiß alles über Esteban Calderón, was es zu wissen gibt, das kann ich Ihnen versichern.«
Falcón nickte, während sich ihm bis dahin verschlossene Welten auftaten. »Sie haben Esteban heute Morgen einen Jäger genannt. Was jagt er?«, fragte er.
»Abwechslung, nur, dass er es noch nicht weiß«, antwortete Isabel. »Aber das hat er schon immer gesucht.«
»Und worin besteht diese Abwechslung ?«
»In einem Gesicht, das er nicht deuten, Gedanken, die er nicht verstehen kann«, sagte Isabel. »Die Frauen haben sich Esteban immer vor die Füße geworfen, in der Regel Frauen aus seinem beruflichen Umfeld, die wie Juristen denken. Er weiß, wie sie
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