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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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alle männlich.«
    »Ich hasse Figurinen«, sagte sie.
    »Ein großer Bodenspiegel mit einem vergoldeten Rokoko-Rahmen. Paris. 1984. Neuntausend Francs.«
    »Etwas, worin man sich mit einem goldenen Heiligenschein sehen kann.«
    »Eine römische Flasche aus trübem Glas in Regenbogenfarben. Ein Satz von acht Silbermünzen, ebenfalls römisch. Ein vergoldeter Stuhl – Louis-quinze, London, 1982. Dafür hat er neuntausend Pfund bezahlt.«
    »Teuer genug, um sein Thron zu sein.«
    »Die Bronzeplastik eines Pferdes in vollem Galopp – römisch. Ein Stierkopf – griechisch. Eine Tonscherbe mit der Darstellung eines laufenden Jungen – griechisch. Ein Stück von Manuel Rivera mit dem Titel Anatomía en el Espejo .«
    »Anatomie im Spiegel? Worum genau handelt es sich dabei?«
    »Metallstrukturen auf Holz. Ein Spiegelbild. Schwer zu beschreiben«, sagte Falcón. »Außerdem gibt es noch ein Gemälde von Zobel mit dem Titel Trockener Garten und ein erotisches Gemälde aus Indien.«
    »Inwiefern erotisch?«
    »Es ist eine ziemlich plastische Darstellung eines Mannes mit einem überdimensionierten Penis, der mit einer Frau verkehrt«, sagte Falcón. »Und das war’s.«
    »Ein sehr komplizierter Mann mit seinen Figurinen, Masken und Spiegeln«, sagte sie. »Gibt es einen Hinweis darauf, wie die Sammlung ursprünglich arrangiert war?«
    Falcón durchsuchte die Schubladen einer antiken Kommode und fand eine Reihe von Fotos der Sammlung, alle mit einem Datum auf der Rückseite versehen. Auf allen Fotos saß Pablo Ortega auf dem Louis-quinze-Stuhl. Auf dem jüngsten Bild waren alle Stücke bis auf das erotische Gemälde und der Zobel versammelt. Falcón ging dann auf, dass der Zobel wohl so gehängt war, das Ortega ihn von seinem Thron aus ansehen konnte; das indische Gemälde hingegen war eine jüngere Erwerbung und tauchte wohl deshalb noch nicht auf. Er beschrieb Alicia das Arrangement.
    »Offenbar zeigt er uns ›Die Schöne und das Biest‹. Die Maske aus Zaire ist beides. Sämtliche Stücke auf der einen Seite sind Werke von Schönheit, Erhabenheit und Pracht: Picassos Zentaur, der Stierkopf, das galoppierende Pferd, der laufende Junge. Ich vereinfache, denn eigentlich ist die Sache komplizierter. Zentauren sind auch Ungeheuer. Und wovor läuft der Junge davon? Es gibt Münzen und die schöne, aber leere römische Flasche. Und das Rivera-Gemälde, das sich in dem vergoldeten Spiegel spiegelt. Das verstehe ich nicht.«
    »Und die andere Seite?«
    »Francisco Falcón, der Hochstapler. Ortega hat sein Leben lang etwas vorgetäuscht. Die wunderschönen, in Porzellan erstarrten Figurinen – der Schauspieler in seinen Rollen, und die Implikation: ›Ich bin so hohl wie sie.‹ Der Spiegel liefert ein klares Abbild, das seinen Narzissmus vergoldet.«
    »Und die schwarzen Ebenholz-Jungen?«
    »Ich weiß nicht – vielleicht bewachen oder bewahren sie seine Geheimnisse.«
    »Und warum betrachtet er immer den Trockenen Garten ?«
    »Das ist wahrscheinlich seine Vision des Todes – schön, aber verdorrt«, sagte sie. »Sie wissen, dass Sie nichts von all dem vor Gericht verwenden können, Javier.«
    »Ja«, sagte er und lachte über die absurde Vorstellung. »Ich erhoffe mir bloß einen Einblick. Pablo hat mir erklärt, dass er in seiner Sammlung alles zeigen würde und nichts versteckt hätte. Was ist Ihr Gesamteindruck?«
    »Es ist eine sehr männliche Sammlung. Die einzige weibliche Gestalt ist die auf dem erotischen Gemälde aus Indien. Selbst die nicht menschlichen Figuren sind männlich: Pferde, Bullen und Zentauren. Was ist mit seiner Frau passiert, Sebastiáns Mutter?«
    »Sie ist an Krebs gestorben, aber – das ist interessant – vorher ist sie weggelaufen. Ich zitiere Pablo: ›mit einem großschwänzigen Idioten nach Amerika durchgebrannt.‹«
    »Oh je«, sagte Alicia spöttisch. »Probleme im Schlafzimmer. Bei all den Spiegeln, Masken und Figuren frage ich mich mittlerweile, ob seine größte Rolle nicht vielleicht sein eigenes Leben war, der Part eines kraftvollen, starken, potenten Mannes, der er in Wirklichkeit gar nicht war.«
    »Vielleicht ist es langsam an der Zeit, mit seinem Sohn zu reden«, meinte Falcón.

SIEBZEHN
    A uf dem Weg zum Gefängnis, das außerhalb von Sevilla in Alcalá lag, rief Falcón den Direktor an, den er gut kannte, und erklärte ihm die Situation. Der Direktor war zu Hause, versprach jedoch, alle nötigen Anrufe zu tätigen. Falcón würde ungehinderten Zugang zu dem Gefangenen haben,

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