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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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konnte Falcón nicht davon überzeugen, dass dies eine zufällige Begegnung war.
    »Das also ist Ihr Haus«, sagte sie und blieb zwischen den beiden Reihen von Orangenbäumen stehen, die zu dem Holztor führten. »Das berühmte Haus.«
    »Das berüchtigte Haus«, sagte er.
    »Das ist mein Lieblingsladen in Sevilla«, sagte sie. »Vermutlich schleppe ich noch ihr komplettes Lager mit zurück nach New York.«
    »Sie verlassen Sevilla?«
    »Nein, nicht sofort«, sagte sie. »Aber letztendlich schon. Sie wissen doch, irgendwann kehren wir alle dorthin zurück, wo wir angefangen haben.«
    Falcón hatte keine Ahnung, was sie meinte, und fragte sich, ob sie es selbst wusste. Er spielte mit dem Gedanken, ihr viel Erfolg bei ihren Einkäufen zu wünschen und im Haus zu verschwinden, brachte jedoch nicht die nötige Unhöflichkeit auf.
    »Möchten Sie das berüchtigte Haus sehen?«, fragte er. »Ich könnte Ihnen etwas zu trinken anbieten.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Inspector Jefe«, sagte sie. »Ich war einkaufen und bin ganz schön erschöpft.«
    Sie betraten das Haus, und er bot ihr einen schattigen Platz unter dem Säulengang mit Blick auf den Springbrunnen im Innenhof an, während er in die Küche ging, um etwas zu trinken und ein paar Oliven zu holen. Als er zurückkam, stand sie auf der anderen Seite des Patio und betrachtete durch die Glastüren einige von Francisco Falcóns Gemälden von Sevilla.
    »Sind das…?«
    »Die sind wirklich von ihm«, sagte er und reichte ihr ein Glas Manzanilla. »Bei denen musste er nicht mogeln. Aber er war eigentlich besser. Dies ist Ausdruck seines unbewussten Bemühens, sich selbst zu erniedrigen. Wenn er weitergemacht hätte, hätte er irgendwann barbusige Zigeunerinnen und rehäugige Kinder gemalt, die in Brunnen pinkeln.«
    »Was ist mit Ihrem Werk?«
    »Ich habe kein Werk.«
    »Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie Fotograf sind.«
    »Mich hat die Fotografie nur als Medium der Erinnerung fasziniert«, sagte er. »Ich habe keine künstlerische Begabung. Und was ist mit Ihnen? Wie sehen Sie das? Worin liegt für Sie der Sinn, verstörte und gequälte Menschen zu fotografieren?«
    »Was für einen Quatsch habe ich Ihnen denn beim letzten Mal erzählt?«
    »Ich weiß nicht mehr genau… Wahrscheinlich irgendwas darüber, dass Sie den Moment festhalten wollen«, sagte Falcón, während ihm einfiel, dass das eigentlich sein Quatsch gewesen war.
    Sie gingen zum Tisch zurück, und er lehnte sich an eine Säule, während sie sich setzte, die Beine übereinander schlug und an ihrem Manzanilla nippte.
    »Es geht um Empathie, um Mitempfinden«, sagte sie, und Falcón wusste, dass er nichts Erhellendes zu hören bekommen würde. »Wenn ich solche Menschen sehe, erinnere ich mich an das Gefängnis meiner eigenen Qual und das Leid, das ich Marty angetan habe. Es gibt eine emotionale Reaktion. Als ich anfing, danach zu suchen, war ich überrascht, wie viele von uns da draußen unterwegs sind. Es sind Aufnahmen einzelner Menschen, aber wenn man sie in einem Raum versammelt, werden sie zu einer Gruppe, einer Sippe. Sie sind Ausdruck der Realität des Menschseins. Ach, Scheiße– egal, wie sehr man sich anstrengt, es hört sich immer an wie das langweilige Gerede in den Galerien. Geht Ihnen das auch so? Wörter haben so eine Art, die Dinge zu verflachen.«
    Er nickte, bereits gelangweilt, und fragte sich, was Calderón wohl in ihr sah, von den blauen Adern unter ihrer weißen, marmorkalten Haut einmal abgesehen. Die Frau lebte ihr Leben als ein Projekt. Falcón unterdrückte ein Gähnen.
    »Sie hören mir nicht zu«, sagte sie.
    Als er aufblickte, stand sie neben ihm, nah genug, dass er die roten Flecken in ihrer Iris sehen konnte. Sie leckte sich die Lippen, um sie mit natürlichem Glanz zu überziehen, und versprühte hemmungslos ihre selbstsichere Erotik. Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite, um ihm zu signalisieren, dass er sie jetzt küssen konnte, während ihre Augen andeuteten, dass das Ganze in etwas Wildes auf den Marmorfliesen des Innenhofs ausarten könnte, wenn er nur wollte. Leicht angewidert wandte er den Kopf ab.
    »Ich habe halb zugehört«, sagte er, »aber mir geht im Moment eine Menge im Kopf herum, und außerdem bin ich zum Mittagessen verabredet und sollte mich jetzt auf den Weg machen.«
    »Ich muss auch los«, sagte sie.
    Ihre Hände zitterten vor Wut, als sie ihre Tüte mit den handgemalten Kacheln nahm; vorübergehend fürchtete er, sie würde ihm eine nach der

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