Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
nicht kennen. Er ist hierher gezogen, an einen Ort, der oberflächlich passend schien. Eine Gartenstadt, wohlhabende Nachbarschaft, Ruhe und Frieden. Aber so ist es nicht gekommen. Er fühlte sich fehl am Platz und sehnte sich nach seinem alten Barrio. Mit dem Haus, das er gekauft hatte, traten unangenehme Probleme auf. Wir hätten es vielleicht nur als ärgerliche und teure Unannehmlichkeit empfunden, aber für Pablo Ortega wurde es zu einer Art Symbol. Dann starb sein Nachbar…«
»Er wollte wissen, ob Señor Vega Selbstmord begangen hatte.«
»Das heißt, er hat bereits mit dem Gedanken gespielt«, sagte Alicia. »Ich habe noch vergessen, die Tatsache zu erwähnen, dass sein Sohn ihn nicht sehen wollte… Was ihn noch weiter isoliert hat. Dann erscheint Javier Falcón auf der Bildfläche, erkennt eine Ungerechtigkeit in Sebastiáns Verurteilung und will helfen. Wie Sie aus eigener Erfahrung wissen, kommt dabei immer neue Bewegung in einen alten Fall. Was würde dabei in Pablo Ortegas Verstand wohl an die Oberfläche gewirbelt werden? Was immer es war, er wollte es nicht wissen. Er hielt es nicht für wert, am Leben zu bleiben, um es zu erfahren. Das heißt, er lässt seine – eingebildete oder reale – schmutzige Vergangenheit nicht nur nicht an die Oberfläche kommen, er versenkt sich buchstäblich darin. Er vergräbt seine Erinnerungen in seinem eigenen Kot. Diese Behandlung hatten seine süßen und unschuldigen Hunde nicht verdient.«
Falcón schüttelte verzweifelt denn Kopf.
»Sie haben ihn nach seinem Sohn gefragt, Javier, und Sie haben gesagt, Sie hätten ihn durch Ihre Ermittlung unter Druck gesetzt. Was für einen Verdacht hatten Sie gegen ihn?«
»Darüber möchte ich noch nicht sprechen. Ich möchte, dass Sie unvoreingenommen an die Sache herangehen«, sagte er. »Das heißt, wenn Sie überhaupt damit zu tun haben wollen. Sie können auch sagen, dass Sie das Ganze nichts angeht.«
»Es geht mich schon etwas an«, sagte sie. »Ich wüsste gerne, was in den Briefen steht. Und vielleicht wäre es interessant, seine Sammlung zu betrachten.«
Vor dem Haus hielt ein Streifenwagen.
»Erst müssen wir unsere Arbeit machen«, sagte er. »Aber ich glaube nicht, dass es lange dauern wird.«
Hinter dem Streifenwagen parkte ein Krankenwagen. Ein paar Minuten später tauchten Felipe und Jorge auf, begleitet vom Untersuchungsrichter Juan Romero. Sie berieten kurz darüber, ob es einen Zusammengang zwischen dem Selbstmord und dem Vega-Fall gab. Calderón rief Romero an, der Falcóns Bericht weitergab, und man entschied, beide Fälle getrennt zu behandeln. Cristina traf gerade rechtzeitig ein, um die Entscheidung mitzubekommen.
Falcón führte sie von den Hunden im Pool durch das Haus zum Tatort. Felipe machte Fotos, während Jorge die Hunde musterte und Fleischreste zwischen ihren Zähnen herauspulte. Ferrera überprüfte den Anrufbeantworter auf Nachrichten und bat die Telefongesellschaft um eine Auflistung der Gespräche, bevor sie sich auf die Suche nach einem Handy machte.
Die Sanitäter stellten fest, dass Ortegas Leiche beschwert worden war, damit sie nicht wieder auftauchte, und mittels eines Flaschenzugs aus der Grube gehievt werden musste. Derweil sicherten Felipe und Jorge sämtliche Indizien, bevor sie ins Schlafzimmer weiterzogen. Der Médico Forense war eingetroffen und saß, während er auf die Bergung der Leiche wartete, mit Alicia Aguado plaudernd am Pool.
Felipe überreichte Falcón die ungeöffneten Briefe in einem Plastikbeutel. Die Notärzte meißelten an der Decke herum, bis sie einen Betonbalken gefunden hatten, an dem sie den Bohrer ansetzen konnten. Falcón ging ins Wohnzimmer und las die Briefe. Ferrera hatte derweil ihre Suche nach einem Handy ergebnislos beendet, und Falcón beauftragte sie, die Nachbarn nach Ortegas Aktivitäten in den vergangenen vierundzwanzig Stunden zu befragen.
PRIVAT UND VERTRAULICH
27. Juli 2002
Lieber Javier,
ich denke, Ihnen ist mittlerweile klar, dass ich Sie auserwählt habe, und es tut mir Leid, wenn ich Sie schockiert habe. Sie sind ein Profi, und ich mag Sie, wie gesagt, deshalb wollte ich, dass diese letzte Szene meines letzten Aktes sicher in Ihren Händen liegt.
Für den Fall, dass es Zweifel gibt oder zufällig ein opportunistischer Einbrecher die Szene betreten und meine Tragödie vermasselt hat, möchte ich unzweideutig erklären, dass ich mir selbst das Leben genommen habe. Die Tat beruht nicht auf einer spontanen Entscheidung und ist
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