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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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geparkt war, stieg ein, fuhr aus der Parklücke heraus und hielt direkt neben ihnen.
    »Einmal umsteigen, bitte«, sagte Gentilini.
    Als sie in dem Fiat saßen, stellte er ihnen seinen ehemaligen Vorgesetzten Angelo Striano vor – den Mann, der vor zwanzig Jahren mit dem Fall Di Napoli betraut war.
    Striano fügte hinzu, sie würden aus der Stadt rausfahren, in ein Appartement, das sicher sei, um in aller Ruhe diese Unterlagen durchzugehen. Niemand würde sie dort suchen.
    »Was ist der Fall Di Napoli?«, fragte Luzie.
    Gentilini, der die Reisetasche auf den Knien hielt und bereits darin nach den Unterlagen wühlte, warf Sonja vom Beifahrersitz aus einen fragenden Blick zu.
    Sie verstand, was er meinte. Ob nicht schon genug passiert war, ob Luzie die Nachricht vom Tod ihres Vaters verkraften würde? Aber Sonja hatte die Nase voll von Notlügen und Heimlichtuerei. Jahrelang hatte sie ihrer Tochter alles, was ihren Vater betraf, vorenthalten. Damit war jetzt Schluss.
    »Dein Vater hieß Antonio Di Napoli«, sagte sie so sachlich wie möglich. »Er war Journalist und hat diese Unterlagen gesammelt und uns geschickt. Kurz darauf wurde er in Neapel erschossen. Als du geboren wurdest, war er schon nicht mehr am Leben.«
    »Er ist … tot?«, wiederholte Luzie mit aufgerissenen Augen. »Ich habe … nach einem Toten gesucht? Ich …« Sie starrte Sonja an und flüsterte: »Hast du das gewusst?«
    Sonja schüttelte den Kopf. Sie konnte nichts sagen. Hinter einem Tränenschleier sah sie, wie Luzie stumm die Arme ausbreitete. Sie hielten sich lange Zeit eng umschlungen. Bis Luzie sich ruckartig aus der Umarmung löste, sich kerzengerade aufsetzte und mit beängstigender Klarheit in stockendem Italienisch sagte:
    »Wenn das so ist, dann hat Franco Fusco meinen Vater umgebracht. Er wusste, dass ich seine Tochter bin. Er hat gesagt, mein Vater sei Wissenschaftler. Er hat gesagt, er sei für ein paar Monate auf Reisen …« Ihre Stimme wurde schriller, auf Deutsch fuhr sie fort: »Er hat mir gegenüber so getan, als wäre mein Vater noch am Leben! Warum? Warum hat er mir nicht gesagt, dass mein Vater tot ist? Kapiert ihr das? Ich nicht. Er ist der Mörder, es kann gar nicht anders sein …«
    Sonja übersetzte, dann warfen sie und Gentilini sich einen weiteren kurzen Blick zu, der besagte: Sie hat Recht. Ha ragione. Aber warum sollte Franco Fusco seinen guten Freund erschossen haben? Perchè?

34
    Das Appartement, von dem Striano gesprochen hatte, war eine von drei kleinen Wohnungen in einem Appartementhaus in Capo Miseno. Direkt vor der Tür lag ein mindestens drei Kilometer langer Sandstrand, der an beiden Enden von hohen Felsen begrenzt wurde. Das Haus war direkt an den Fels gebaut. Man konnte es nur vom Strand aus oder über eine gut einsehbare Straße erreichen.
    »Die Wohnung gehört meinem Sohn«, sagte Striano, als sie vor dem Haus hielten. »Er lebt in Brüssel und kommt nur in den Ferien. Hier wird uns garantiert niemand suchen.«
    Als die Tür zu der Wohnung hinter ihnen ins Schloss gefallen war, schob Gentilini von innen einen schweren Eisenriegel vor.
    »Sperrst du uns ein?«, fragte Sonja.
    »Er sperrt andere aus«, erwiderte Striano lakonisch. Dann verzogen er und Gentilini sich ins Wohnzimmer, um die Aufzeichnungen gründlich durchzugehen, etwa achtzig Seiten, mit denen sie eine Weile beschäftigt sein würden.
    In einem der Küchenschränke fand Sonja Kaffeepulver und setzte als Erstes eine Espressokanne auf. Luzie entdeckte eine ungeöffnete Packung Pan di Stelle von Mulino Bianco.
    »Abgelaufen im Dezember 2004«, bemerkte sie und riss die Kekstüte auf. »Der Hunger treibt’s rein.«
    Sie versorgten auch die beiden Ermittler mit Espresso und Keksen, setzten sich dann auf den erkerähnlichen Balkon, von wo aus sie die Straße im Blick hatten.
    Es würde Monate dauern, bis das Erlebte von den vielen Schichten des Bewusstseins und der Seele durchgesiebt und einigermaßen geklärt war und langsam bis auf den Boden der Erinnerung sacken konnte, aber Reden half. Nicht immer, aber jetzt. Sonja erzählte von ihrer Ankunft in Neapel, wie Gentilini sie überraschend am Flughafen abgeholt hatte, von den beiden Toten in den Quartieri Spagnoli und wie sie zunächst ziemlich hilflos begonnen hatte, Luzies unsichtbare Spuren aufzunehmen und an jeder zweiten Straßenecke gedacht hatte, jetzt böge sie gleich um die Ecke. Luzie berichtete von ihrer Ankunft, von den ersten Tagen, wie sie Claudia und Libero kennen gelernt und

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