Die Totenfrau des Herzogs
so eine Verbindung unmöglich war …
»Gérard«, flüsterte sie dennoch, um seinen Namen zu hören. Er war der Sohn einer Küchenmagd und sie königlichen Geblüts, doch allein der Klang seines Namens machte sie unruhig und schoss ihr glühende Pfeile durch den Leib. Es gab noch etwas jenseits der Konventionen und etwas außerhalb von Blut, Rang und Geburt … »Gérard …«
»Ich werde ihm sagen, wo du hingegangen bist.« Die Ärztin stand vor ihr, mit ernstem Gesicht. »Es ist eigentlich höchste Zeit, dass er sich dich aus dem Kopf schlägt. Eure Wege sollten sich hier trennen - eine gute Gelegenheit.« Sie runzelte die Stirn und kramte in dem Beutel herum, den sie zusammengestellt hatte. Ima wusste, dass sie den Ritter de Hauteville nicht ausstehen konnte, weil er Normanne war, schmutzig und unkultiviert - und weil er Ima mit geradezu kindischer Hingabe liebte.
»Aber Trota, ich werde doch zurückkommen!«, protestierte sie daher. »Ich werde zurückkommen. Sag ihm, dass ich ihn - sag ihm, dass - dass …« Ima verstummte, draußen wurde es nämlich laut. Hufe trappelten über das Pflaster, dann schlug jemand mit einem Stock gegen die Tür und zerriss den letzten Moment des Nachdenkens. Die Herzogin war angekommen.
»Ich rechnete damit, Euch vor der Tür zu finden«, bemerkte sie spitz, als Ima aus dem Eingang trat. »Wir haben
schon viel zu viel Zeit verloren.« Damit wendete sie ihren isabellfarbenen Hengst. Wie hastig ihr Aufbruch in der Residenz gewesen war, verrieten auch ihre Diener, die gehetzt um eins der Packpferde herumwuselten, dessen Pakete nicht richtig festgeschnallt waren. Das Dienstmädchen hockte mit bleichem Gesicht auf einem Maultier, die Pferde der Soldaten schäumten vom schnellen Lauf hinunter in die Stadt. Sicaildis schnickte mit ihrer Peitsche nach dem Diener. »Mach das Maultier bereit, die Ärztin möchte aufsteigen«, sagte sie nur.
Trota umarmte ihre Schülerin. »Du wirst das schaffen. Du bist so weit, Ima von Lindisfarne. Gott hat deine Hände schon vor langer Zeit gesegnet - jetzt wende an, was du von mir gelernt hast. Wir werden alle für dich beten.« Zögernd ließ sie Ima frei. Deren Herz wurde schwer - war es Einbildung, oder wurde die alte Ärztin tatsächlich kleiner? Kribbelnde Angst kroch an ihr hoch, am liebsten hätte sie alles hingeworfen und wäre weggelaufen. Ein schwarzhaariger Ritter zog durch ihre Gedanken und dass er sie hätte beruhigen können … zärtlich streichelte Trota ihr den Kopf.
»Geh, Kind. Ich sag ihm, was mit dir ist.«
Das Versprechen hielt Imas Seele zusammen, als sie sich in den Sattel schwang, einen bequemen Sitz im Fell suchte und ihre hastig zusammengepackte Kleiderrolle stützend hinter sich drückte. Ich sag ihm, was mit dir ist.
»Sag ihm, was mit mir ist«, flüsterte sie ins Morgengrauen hinein. Sicaildis’ Hengst ging mit den Vorderbeinen in die Luft, als die Herzogin ihn ein wenig zu nachdrücklich zum Gehen aufforderte. Die Soldatenpferde trippelten los, das Dienstmädchen schniefte. Ima sah zurück. Die alte Ärztin stand vor der Haustür, die Arme eng an den Körper gedrückt. Ihre weißen Haare wehten in der Frühmorgenluft, sie wirkte dünn und schutzlos. Ihr freundliches Lächeln
war das Letzte, was Ima sah, bevor das Maultier den anderen hinterhertrabte.
Der Herzogin von Salerno stellte man sich nicht in den Weg.
Am Stadttor sprangen die Wachen denn auch auseinander, ein betrunkener Wachsoldat wurde von seinen Kollegen am Kragen gepackt und zur Seite geschleift. Ihre nicht angebundenen Pferde sprengten davon, zwei galoppierten panisch durch das Tor und hinauf in die Stadt, und das helle Klackern der Hufe weckte die Menschen vor der Zeit.
»Platz da!«, brüllte der eine Herzogliche, überflüssigerweise - da war keiner mehr im Weg, alle lagen hinter der Reisegruppe am Straßenrand und wunderten sich, wohin die Herzogin zu so früher Stunde in so hohem Tempo unterwegs war. Niemand ahnte auch nur im Geringsten, dass der Herzog nach ihr geschickt hatte, niemand ahnte, dass der Allmächtige ihn gerufen hatte … und dass Sicaildis sich aufgemacht hatte, dem Allmächtigen ein Schnippchen zu schlagen, indem sie schneller war als Er.
Ima verging Hören und Sehen.
Sie hatte daheim durchaus gut Reiten gelernt, es hatte dort auch Pferde von feinem Blut gegeben, denn immerhin hatte sie die vergangenen Jahre im Haus ihres Urgroßvaters Roger de Montgomery verbracht und war in den Kreisen der englischen Königin
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