Die Totengräberin - Roman
ohne.
Es war still. Von der Fattoria drang kein Laut bis zur Wiese herüber. Die Sonne verschwand leuchtend orange hinter den Bergen, und Carolina freute sich auf die Nacht.
Dies war der perfekte Platz, um zur Ruhe zu kommen und sich ihren Träumen zu überlassen. Im Grunde hatte sie gar keine Lust, mit den Bikern zu fachsimpeln, zu trinken und zu feiern. Das ganze Bikertreffen war nur ein Vorwand, denn ohne diesen Anlass wäre sie nie in die Toskana gefahren. Es hätte so ausgesehen, als reiste sie ihm hinterher. Jetzt war es ein Zufall, eine Gelegenheit, sich wiederzusehen, die man einfach wahrnehmen musste. Schließlich war man ja nicht zerstritten. Einfach nur mal wieder zwei, drei Stunden reden. Spazieren gehen oder zusammen essen. Mehr nicht.
Carolina glaubte selbst nicht, was sie sich da einredete. Sie war hin- und hergerissen, ihre Gefühle waren ein einziges Chaos. Auf der einen Seite hatte sie den Wunsch, dass Johannes zu ihr ins Zelt kriechen und die Nacht mit ihr verbringen würde, aber auf der anderen Seite war ihre Verletzung so groß, dass sie den Wunsch hatte, ihn kaputt zu machen. Ihn und die Beziehung zu seiner Frau. Wenn er für sie weiterhin unerreichbar bleiben würde, dann sollte ihn auch keine andere haben.
Obwohl sie todmüde war, als sie in den Schlafsack kroch, konnte sie lange nicht einschlafen. Zu aufgeregt war sie,
wenn sie an morgen dachte. Nur noch ein paar Stunden. Sie spürte regelrecht, wie sich ihr Herz zusammenzog, so sehr liebte und hasste sie ihn.
61
Magda war vor einer Viertelstunde zur Versicherung nach Bucine gefahren, um die Police für das Haus zu bezahlen, und wollte danach kurz bei Katharina vorbeischauen. Lukas wartete noch fünf Minuten, um ganz sicher zu sein, dass sie nicht noch einmal zurückkam, weil sie etwas vergessen hatte, und machte sich dann an die Arbeit. Die Situation war günstig, um wenigstens ein Stück des Grabes freizulegen. Auch wenn der Anblick noch so furchtbar sein sollte und ihn wahrscheinlich nie mehr in seinem Leben verlassen würde. Er wollte sicher sein. Ein Foto war eben nur ein Foto, die Leiche mit eigenen Augen zu sehen, war etwas ganz anderes.
Mit einer kleinen Pflanzenschippe begann er vorsichtig zu graben. Immer auf der Hut und das Haus im Blick, ob sie vielleicht doch plötzlich hinter der Hausecke auftauchen würde.
Die Erde war leicht und relativ locker. Ein Indiz dafür, dass hier vor Kurzem gegraben worden war.
Auf der einen Seite störte das Bäumchen, auf der anderen Seite würde es die Arbeit beschleunigen, wenn er es ausbuddelte. Daher löste er zuerst den Stamm vom Pfahl und zog dann mit viel Kraft den kleinen Olivenbaum aus dem lockeren Erdreich.
Er stieß auf grünes Plastik, teilweise zerfetzt, arbeitete langsam weiter, und wenige Minuten später legte er Johannes’ Schulter frei. Sein Herz tobte in seiner Brust.
Vorsichtig schaufelte er jetzt mit der kleinen Schippe die Erde beiseite. Immer bedacht, Johannes nicht zu verletzen, obwohl der Gedanke absurd war. Und dann kam langsam sein Gesicht zum Vorschein: das Kinn, die Backenpartie und die toten Augen. Schlimmer, als er es sich in seinen Albträumen vorgestellt hatte.
Diese bleiche, mit Erde verschmierte faulige Masse war einmal das Gesicht seines Bruders gewesen, das dunkle Loch sein Auge, das ihm zugezwinkert hatte, wenn die Mutter einen Hausarrest verhängte. Mach dir keine Sorgen, hatte sein Blick gesagt, wir schaffen das, wir hauen trotzdem ab, und niemand wird es merken.
Und dann erst registrierte er das, was er schon die ganze Zeit sah, aber nicht wahrhaben wollte: das Schrecklichste überhaupt. Als er den Baum stützen wollte, hatte er, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, seinen Bruder gepfählt. Mitten ins Herz, wie bei einem Vampir, um zu verhindern, dass er jemals wieder lebendig werden und weiteres Unheil anrichten würde.
Lukas weinte. Zum ersten Mal wieder seit Jahren.
Magda stand vor Katharinas kleinem gelbem Haus in Rapale und klingelte Sturm, aber Katharina antwortete nicht. Auch Alberto bellte nicht oder stürzte auf sie zu. Es war absolute Blödheit von mir, hier vorbeizufahren, ohne vorher anzurufen, ärgerte Magda sich. Das ist jetzt die Strafe.
Sie ging einmal ums Haus herum. Alle Fenster waren zu, die Haustür abgeschlossen. Schade, dachte Magda, ich hätte
gern einen Tee mit ihr getrunken und mir ihre neusten Bilder angesehen.
Sie hinterließ keine Nachricht, sondern setzte sich ins Auto und fuhr zurück nach La
Weitere Kostenlose Bücher