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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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nicht! Ihr könnt mich erst davon überzeugen, dass Johannes wirklich wieder da ist, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Ich weiß nicht, was los ist, was da in Italien läuft und warum ihr mich pausenlos belügt. Ist er tot, Lukas? Warum sagt ihr mir nicht einfach die Wahrheit? Lukas, bitte, ist dein Bruder tot?«
    »Nein.« So drastisch hatte er seine Mutter noch nie belogen.
    »Was spielt ihr bloß für ein widerliches Spiel mit mir?«, fragte Hildegard tonlos.
    »Wir spielen kein Spiel mit dir. Wirklich nicht. Aber ich kann dir das alles nicht am Telefon erklären. Ich kann dir nur so viel sagen, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst. Es ist alles in Ordnung.«
    Seine Mutter brachte lediglich ein ungläubiges »Pahhh« zustande.
    »Sobald ich kann, komme ich nach Berlin. Ja? Dann reden wir über alles, und dann wirst du auch verstehen, warum Johannes jetzt keine Lust hat zu telefonieren.«
    »Er soll sich ja nicht ewig mit mir unterhalten, sondern nur ›Hallo‹ und ›auf Wiedersehen‹ sagen, damit ich weiß, dass er noch lebt«, flüsterte Hildegard. »Wer bin ich denn? Hab ich nicht das Recht, ihn wenigstens zu begrüßen?«
    »Das geht nicht. Jedenfalls nicht jetzt.«
    Lukas wartete einen Moment. »Du sagst ja gar nichts mehr, Mama?«
    »Was soll ich denn sagen? Ich bin am Ende. Ich kann nicht mehr.« Sie putzte sich die Nase. Lukas wartete geduldig. »Und warum kommst du nicht nach Hause, wenn Johannes angeblich wieder da ist?«

    »Ich komme ja. Sehr bald sogar. Bitte gedulde dich noch eine kleine Weile. Ein paar Tage. Höchstens eine Woche.«
    »Hast du eine Ahnung, was du da von mir verlangst? Kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
    »Bitte, Mama.«
    Hildegard legte auf.
    Lukas rief noch ein paarmal »Hallo«, aber seine Mutter meldete sich nicht mehr. Als er das Gespräch wegdrückte, hörte er das Freizeichen. Sie hatte wahrhaftig ohne ein Abschiedswort aufgelegt, was überhaupt nicht typisch für sie war. Normalerweise sagte sie eher fünfmal »Tschüss« als gar nicht.
    Als er zum Haus zurückging, saß Magda an der Südseite des Hauses in der Sonne und strickte an einer Jacke, die sie zu zwei Dritteln fertig hatte und ihm zu Weihnachten schenken wollte.

62
    Carolina schlief acht Stunden. Um sieben wachte sie auf und fühlte sich munter, ausgeschlafen und voller Energie. Der Morgen war angenehm kühl. Sie machte ein paar Yogaübungen im Gras und holte sich dann frisches Wasser in ihrem Wassersack.
    Es war erst acht Uhr, als sie wieder kalte Bohnen aß. Anschließend putzte sie ausgiebig ihre Harley und fuhr schließlich los.
    Sie hatte eine Wanderkarte gekauft und sich den Weg nach La Roccia ganz genau eingeprägt. Von Solata bis zur ersten Kurve, von der aus sie das Anwesen in seiner vollen Größe einsehen konnte, nahm sie den Gang heraus und ließ die Harley rollen. Niemand sollte auf sie aufmerksam werden, bis sie nicht selbst bereit war, das Grundstück zu betreten.
    Sie schob die schwere Maschine an den Rand des Weges, behielt La Roccia im Blick und wartete mit klopfendem Herzen.
     
    Bereits nach wenigen Minuten kam eine Frau aus der Küche und deckte den Terrassentisch für zwei Personen. Carolinas Nervosität stieg. Die Frau musste Magda sein. Sie sah gut aus. Die knappen Shorts und das enge T-Shirt ließen
sie jünger erscheinen. Es gab Carolina einen Stich. Sie hatte sich Johannes’ Frau altbackener vorgestellt.
    Dann passierte minutenlang gar nichts. Schließlich erschien Magda mit einer Kanne Tee und einer Schale Obst und setzte sich. Langsam begann sie einen Apfel zu schälen.
    Der Mann kam wenige Augenblicke später. Er streckte sich, gähnte herzhaft, fuhr sich mit beiden Händen durch die wirren Haare und küsste Magda auf den Nacken. Sie drehte sich um, lächelte und küsste ihn auf den Mund.
    Der Mann setzte sich.
    Es war nicht Johannes.
    Was ist da los, dachte Carolina, verflucht noch mal, was ist da los? Das wird wohl sein Bruder sein, der mich angerufen hat. Aber das war kein Kuss zwischen Schwager und Schwägerin.
    Die beiden aßen, sagten ab und zu etwas, nickten sich zu, lächelten. Schenkten sich gegenseitig Tee ein.
    Carolina schlief das Bein ein. Ein Königreich für einen heißen Kaffee, dachte sie. Vielleicht sollte ich schnell im Ort einen Cappuccino trinken und dann wiederkommen.
    Aber sie blieb.
    Zwanzig Minuten später räumte Magda ab, und der Mann verschwand hinter dem Haus. Von Johannes war nichts zu sehen.
    Ich bin nicht hier, um im Gebüsch zu sitzen,

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