Die Totengräberin - Roman
hältst du von der ganzen Sache?«
»Das hört sich gar nicht gut an«, meinte Alfonso, »jetzt habe sogar ich Lust, der Signora mal auf den Zahn zu fühlen. Wir werden eine Hausdurchsuchung beantragen, und außerdem graben wir das ganze Grundstück um.«
Neri zog eine Augenbraue hoch und lächelte spöttisch.
»Tu, was du nicht lassen kannst, Kollege. Ich habe mir bei der Suche nach meiner Schwiegermutter schon gehörig die Finger verbrannt, ich brauche nicht noch eine zweite Großaktion, die in die Hose geht. Ich halte mich da raus.«
Aus Erfahrung wird man klug, dachte Neri, und fühlte sich ungemein wohl dabei, Alfonso eine Abfuhr erteilt und ihm die Verantwortung für den Fall abgegeben zu haben.
Für einen Fall, der in Neris Augen noch nie ein Fall gewesen war.
Alfonso hatte Blut geleckt. Verbissen wie eine Zecke im Fleisch des Opfers setzte er es noch an diesem Nachmittag durch, dass er eine Erlaubnis bekam, La Roccia zu durchsuchen. Haus und Grundstück.
Er legte Magda den richterlichen Beschluss vor. Magda warf noch nicht einmal einen Blick darauf.
»Wo ist Ihr Mann, Signora?«, fragte Alfonso.
»Er ist in Rom. Aber er kommt bald zurück.«
Alfonso nickte. »Gut, aber wenn Sie nichts dagegen haben, sehen wir uns jetzt einmal ein bisschen um.«
Magda machte lediglich eine große, einladende Handbewegung, was so viel hieß wie: Bitte schön. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.
Alfonso und Neri gingen direkt zum Gemüsegarten.
»Bevor wir hier irgendwo anfangen zu buddeln und uns noch Verstärkung anfordern, wollen wir doch die Leiche erst mal anrufen!« Alfonso grinste, und Neri schwieg. Ihm war überhaupt nicht nach Scherzen zumute.
Aus seiner Jacketttasche fischte Alfonso einen kleinen Zettel, auf dem er sich die Handynummer von Lukas Tillmann notiert hatte, und wählte mit seinem Handy. Dann
legte er den Finger auf die Lippen, um Neri zu signalisieren, sich absolut still zu verhalten.
Leise, sehr leise und wie aus einer anderen Welt drang die Melodie des »Paten« durch die Erde und wurde allmählich lauter.
»Porcamiseria«, flüsterte Alfonso, und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Neri schlug die Hand vor den Mund und glaubte, ohnmächtig zu werden.
Die Melodie verstummte. Alfonso wählte erneut. Und wieder die Musik aus der Tiefe.
Alfonso tat jetzt genau das, was am Morgen auch schon Frau Dr. Nienburg getan hatte. Er kniete sich hin und legte das Ohr auf die Erde, um das Ungeheuerliche noch deutlicher hören zu können.
Und dann wurde er plötzlich ganz hektisch. »Ich brauche einen Spaten«, schrie er, »verflucht noch mal, hier liegt eine Leiche, Neri. Die Signora hat ihren Mann verbuddelt, und das Handy klingelt noch. Ich fasse es nicht!« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Schnell, Neri, hol die Gartengeräte aus dem Auto, ich verhafte die Signora. Nicht dass sie uns jetzt noch abhaut.«
Angesteckt von der Nervosität Alfonsos stürzte Neri los. Alfonso betrat das Haus.
Magda saß am Küchentisch und schrieb einen Brief.
»Signora Tillmann«, sagte Alfonso mit fester Stimme, »wir haben Grund zu der Annahme, dass auf Ihrem Grundstück eine Leiche vergraben ist. Daher muss ich Sie vorläufig festnehmen. Es tut mir leid.«
Magda sah ihn an, als habe sie kein Wort verstanden. Sie erschien Alfonso vollkommen teilnahmslos, als er ihr eine Handschelle anlegte und sie zum Wagen der Carabinieri
führte. Dort bat er sie, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, und kettete sie an den Türgriff.
Als er zurück zum Gemüsegarten kam, fing Neri gerade an zu graben. Genau dort, wo die Melodie des »Paten« ihm wie Hohn in den Ohren geklungen hatte. Alfonso stand mit gespreizten Beinen daneben und beobachtete Neri.
»Mach das fix, aber vorsichtig«, ermahnte Alfonso, »nicht, dass du irgendwas kaputt machst.«
Neri grub und versuchte, alles richtig zu machen, obwohl er der Meinung war, dass es viel besser funktionieren würde, wenn Alfonso nicht wie der Donnergott neben ihm stünde. Dennoch dauerte es nur wenige Minuten, bis er den Plastiksack freigelegt hatte.
»Siehst du das, Neri?«, brüllte Alfonso und zeigte auf das verschnürte Müllpaket, »verdammt noch mal, siehst du das? Das ist Wahnsinn, Neri, das gibt es nicht!«
Neri blieb stumm wie ein Fisch.
Alfonso kniete sich hin und riss den Müllsack an der Stelle auf, wo er den Kopf vermutete, und während Lukas’ blasses Gesicht zum Vorschein kam, schrie er unentwegt: »Oh Dio, oh Dio, oh Dio!«
In Neris
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