Die Totengräberin - Roman
Terrasse tragen, da sah sie, dass die Therapeutin auf der Erde kniete und ihr Ohr auf das frisch geharkte Beet legte.
Die Musik kam aus der Tiefe. Jetzt konnte sie es noch deutlicher hören. Die langsame, melancholische Melodie schnitt ihr in die Seele. Niemand vergrub ein funktionierendes Handy im Gemüsebeet. Lukas war hier. Ganz nah. Sie hatte sein Grab gefunden.
Der Entschluss kam schnell. Die Kaffeetasse, die sie für die Therapeutin gedacht hatte, hatte eine kleine Kerbe am Henkel. Magda ließ die Tropfen in den Kaffee fallen und ging auf die Terrasse.
Es waren erst wenige Sekunden vergangen, da hörte sie Magda rufen und sah zum Haus. Magda kam mit zwei Kaffeetassen heraus.
Frau Dr. Nienburg begann zu begreifen: Magda Tillmann war eine Mörderin, die ihren Mann Johannes und wahrscheinlich auch ihren Schwager Lukas getötet hatte. Wie die schwarze Spinne, die die Männchen nach der Begattung frisst.
In fieberhafter Eile überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Schnell stand sie auf und hoffte inständig, dass Magda sie nicht beobachtet hatte.
»Ich komme«, rief sie und ging zur Terrasse. Der Schreck über das soeben Erlebte saß ihr schwer in den Knochen.
»Ich habe uns zwei Kaffee gemacht«, sagte Magda, »und hier ist ein bisschen Gebäck. Ich denke, dann kommen unsere Lebensgeister wieder, und wir können uns unterhalten.«
Woher denn dieser plötzliche Sinneswandel?, überlegte Dr. Nienburg. Innerhalb von zehn Minuten eine Kehrtwendung um hundertachtzig Grad von der totalen Ablehnung zur freundlichen Hinwendung? Das war eigentümlich.
»Mein Kaffee ist legendär«, sagte Magda lächelnd. »Besser als in der Bar. Da bin ich ganz stolz drauf.«
Frau Dr. Nienburg war schon lange nicht mehr so durcheinander gewesen. Sie saß hier mit einer Frau in der Sonne, die keine Skrupel kannte und wahrscheinlich erst gestern ihr letztes Opfer vergraben hatte. Daher durfte sie sie auf keinen Fall misstrauisch machen. Das Beste war, in Ruhe den Kaffee zu trinken, sich dabei möglichst nett und freundlich zu unterhalten, sich dann zu verabschieden und schleunigst zur Polizei zu fahren.
78
Hildegard wusste, dass sie Lukas mit ihren ständigen Anrufen auf die Nerven ging. Seit Samstagabend war er wieder in Italien, und er hatte noch nicht einmal kurz Bescheid gesagt, dass er gut angekommen war. Wahrscheinlich war ihm auch das schon zu viel. Den ganzen Sonntag ärgerte sie sich darüber, aber hatte dem Drang widerstanden, ihn anzurufen. Wollte sich selbst beweisen, dass sie es zwei Tage schaffte, nicht mit ihm zu telefonieren.
Aber jetzt - am Montagvormittag - hielt sie es nicht mehr aus. Wieder hatte sie die ganze Nacht wach gelegen und sich Sorgen gemacht. Vielleicht war es ja nicht nur Nachlässigkeit, dass er sie nicht angerufen hatte, sondern es gab einen anderen Grund. Sie wollte jetzt unbedingt seine Stimme hören, um dieses endlose Drama um Johannes weiter durchhalten zu können.
Zuerst rief sie auf Lukas’ Handy an, es klingelte mehrmals, aber dann meldete sich nur die Mailbox.
Ihre Hände zitterten, als sie die Festnetznummer von La Roccia wählte.
Der Kaffee dampfte.
»Mögen Sie Milchkaffee?«, fragte Magda.
»O ja, sehr gern.«
»Dann lassen Sie ihn sich schmecken.«
Der Kaffee war Dr. Nienburg eigentlich noch zu heiß. Sie nahm die Tasse und pustete hinein, um ihn abzukühlen, als im Haus das Telefon klingelte.
Magda reagierte überhaupt nicht.
»Wollen Sie denn nicht rangehen?«, fragte die Therapeutin verwundert.
»Nein.«
»Aber warum denn nicht?«
»Weil es mich nicht interessiert. Mir ist egal, wer jetzt anruft. Außerdem möchte ich nicht unhöflich sein und mich hier lieber mit Ihnen in Ruhe unterhalten.«
»Aber Sie sind nicht unhöflich. Im Gegenteil.«
Das Telefon klingelte immer noch. Magda nippte an ihrem Kaffee und schlug die Beine übereinander.
Dieses Verhalten machte Frau Dr. Nienburg stutzig. In diesem Moment kam ihr der Gedanke, dass der Kaffee vergiftet sein könnte. Die Kaffeetrinkerei war Magda einfach zu wichtig gewesen.
»Aber es könnte Johannes sein, der anruft«, sagte Frau Dr. Nienburg leise.
Magda hielt einen Augenblick inne, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und rannte ins Haus.
Mechthild Nienburg überlegte blitzschnell, ob sie die Tassen austauschen solle, aber dann sah sie die kleine Kerbe am Henkel. Magda würde den Tausch bemerken. Daher stand sie auf, goss den Kaffee in den Rasen und hatte sich gerade wieder gesetzt, als Magda
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