Die Totengräberin - Roman
alle Maschinen, die hier rumstehen. Und wenn mir nicht irgendwelche Idioten die Vorfahrt nehmen, gibt es auch kein Problem.« Sie grinste breit. »Sehen wir uns Mittwoch, oder ist Ihnen was dazwischengekommen?«
»Nein, nein. Wir sehen uns. Alles klar. Ich freu mich schon.«
»Gut.« Sie fingerte aus ihrer Weste eine Visitenkarte und gab sie Johannes. »Hier. Meine Adresse und meine Telefonnummer. Falls irgendwas ist.«
Damit drehte sie sich um und lief zurück zu ihrem Kunden.
Bei einem fantastischen Abendessen erfuhr Johannes, dass Carolina Bach und die Stones liebte, dass sie zwölf Stunden auf dem Bock in Höchstgeschwindigkeit durch die Gegend brettern, aber auch vierundzwanzig Stunden bei Weißweinschorle und Schwarzwälder Kirschtorte im Bett verbringen konnte, dass sie temperamentvolle Pferde und Männer, die Pfeife rauchen, faszinierend fand, dass sie sich nach dem Meer sehnte, den Bergen und der ganzen Welt, dass sie von einem Hausboot träumte und von der Rallye Paris-Dakar. Sie konnte lauter lachen als das ganze Restaurant zusammen, und Johannes bemerkte, wie groß ihre dunklen Augen waren, die jedes andere Detail ihres Gesichtes unsichtbar machten. Sie hielt die Gabel statt in der linken in der rechten und dafür das Messer in der linken Hand, rührte ihren Kaffee linksherum und beklagte sich über die lauwarme Suppe. Dabei bekam sie eine Zornesfalte auf der Stirn, die Johannes überaus anziehend fand.
»Prost«, sagte sie nach dem ersten Anstoßen und schwenkte den Rotwein bedrohlich heftig im Glas herum, »ich bin Carolina. Weißt du ja. Ich denke, es ist albern, wenn wir uns siezen.«
Sie sprach Johannes aus der Seele, und er küsste sie auf die Wange.
Den ganzen Abend erzählte er erstaunlich wenig von sich. Aber er beobachtete sie, wie sie aß und trank, wie sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr oder mit dem Auge zuckte.
»Das ist ein nervöser Tick«, erklärte sie, »denk dir nichts
dabei. Ich kann es nicht beeinflussen, es kommt immer, wenn ich im Stress, verliebt oder betrunken bin.«
Johannes spürte, wie er rot wurde. »Bist du im Stress?«, fragte er.
»Nein.«
»Betrunken bist du auch nicht.«
Sie lachte laut auf und ersparte sich jeden Kommentar.
Den ganzen Abend wollte er sie fragen, ob es einen Freund oder einen Ehemann in ihrem Leben gäbe, aber er tat es nicht, obwohl sein ganzer Körper kribbelte, so sehnlich wünschte er sich eine Antwort.
Carolina bestand darauf, ihn einzuladen, und gab obendrein ein großzügiges Trinkgeld, das Johannes regelrecht übertrieben fand.
»Hast du noch Lust auf ein letztes Glas Wein?«, fragte sie ihn, als sie vor dem Restaurant auf der Straße standen. »Ich wohne gleich um die Ecke.«
Erst auf dem Weg in ihre Wohnung fiel ihm auf, dass er den ganzen Abend nicht an Magda gedacht hatte. Und jetzt hatte er bei dem Gedanken an sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge.
»Pass auf«, sagte sie, als sie nackt in seinem Arm lag, »ich fresse die Männer mit Haut und Haar. Ich bin maßlos. Ich gebe mich nicht mit halben Sachen zufrieden. Ich bin nicht die Geliebte, bei der man einmal im Monat mal eben vorbeischaut, sich die Kleider vom Leib reißt und wieder verschwindet. Ich verstecke mich nicht, und ich lüge nicht am Telefon. Zu Hause sitzen, das Handy hypnotisieren und hoffen, weinen und beten ist nichts für mich. Ich bin gierig, und ich will dich ganz oder gar nicht.«
Johannes hörte, was sie sagte, aber er wollte es nicht hören.
Er wollte sich die Erinnerung an diesen Abend nicht zerstören lassen. Sie hatten sich nicht zärtlich erforscht und kennengelernt, sondern von der ersten Minute an gekämpft. Jeder wollte den andern erobern und wurde immer drängender und fordernder. Carolina kannte kein Tabu. Dieser Kampf war wie ein Rausch, den am Ende beide gewannen.
Er wollte es wieder erleben. Immer wieder.
Aber das, was sie jetzt sagte, war wie ein Stich in seiner Seele. Er wusste, dass es Probleme geben würde. Carolina spielte kein Spiel. Sie ließ sich in kein Lügengespinst verwickeln, sie war wie eine Tigerin auf der Jagd: unerschrocken und sanft zugleich, aber aggressiv, wenn man sie in einen Käfig steckte.
Nichts würde geheim bleiben, wenn er Carolina weiterhin traf, aber er war bereit, das Risiko einzugehen.
Die Entscheidung dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Sein Verstand war klar und wach. So sah er sich auf den Abgrund zurasen, aber er schloss die Augen und machte nicht die geringsten Anstalten,
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