Die Totengräberin - Roman
schläft?, überlegte
sie. Was hab ich falsch gemacht? Ich möchte sie kennenlernen, vielleicht begreife ich dann, warum Johannes das getan hat.
Und in diesem Moment spürte sie erneut die kalte Wut in sich aufsteigen. Er war schuld. Er hatte sie belogen und betrogen, hatte sie getäuscht und hintergangen.
Nein. Sie würde nicht springen.
Ruhig trat sie zurück ins Zimmer, zog sich aus und nahm ein heißes Bad. Anschließend kochte sie sich einen grünen Tee, nahm zwei Schlaftabletten und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen hatte sie bereits gefrühstückt und war dabei, die Küche aufzuräumen, als er anrief. Sein Ton war locker und vergnügt. Wie immer.
»Gott sei Dank, dass ich dich erreiche«, meinte er, »ich hab es gestern Abend versucht, wollte dir Gute Nacht sagen, aber du warst wohl nicht zu Hause.«
»Doch. Aber ich bin früh ins Bett gegangen.«
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Alles in Ordnung.«
»Der Umzug der Firma nach Polen ist eine verdammt schwierige Kiste. Ist noch’ne Menge zu regeln, aber ich denke, bis morgen Mittag kriege ich das hin. Dann bin ich gegen Abend zu Hause. Hast du Lust, essen zu gehen?«
»Nein. Hab ich nicht. - Mach es doch nicht so kompliziert, Hannes. Du bist bei deiner Freundin hier in Berlin und ganz in meiner Nähe. Du regelst nichts, du organisierst nichts, du verhandelst nicht, du vögelst nur. Zerbrich dir nicht auch noch den Kopf über plausible Ausreden. Das ist für uns beide einfacher. Und falls du dein Handy brauchst - dann komm schnell rum und hol es dir. Es liegt auf deinem Nachttisch.«
Johannes schwieg.
Sie zählte bis zehn. Als er dann immer noch nichts sagte, legte sie auf.
Eigentlich machte sie den anschließenden Spaziergang, um ihre Gedanken zu ordnen. Aber sie merkte sehr bald, dass es da gar nichts mehr zu ordnen gab.
Sie würde nicht gehen, sie würde sich nicht umbringen, und auf keinen Fall würde sie eine erniedrigende Scheidungsschlacht durchstehen, um am Ende dann doch den Kürzeren zu ziehen. Johannes hatte viel bessere Nerven als sie. Er war raffiniert, und er würde sie fertigmachen. Sie würde auch ihr Haus in der Toskana verlieren, und das konnte sie nicht ertragen.
Die Ehe mit Johannes war ihr Leben, nun war es zerstört. Ohne Liebe war alles sinnlos.
Er hatte gewusst, was er tat, und dafür musste er bezahlen.
Sie schloss die Augen und hob ihr Gesicht der kalten Aprilsonne entgegen.
Schade, dachte sie, schade um uns, schade um dich, Johannes.
An jenem Mittwoch, als er am Mittag in die Wohnung zurückkehrte, leise die Wohnungstür aufschloss und fast unhörbar die Wohnzimmertür öffnete, empfing sie ihn mit einem eiskalten Lächeln und einem Cognac in der Hand. Er wusste, dass sie Cognac nicht ausstehen konnte, sie trank sowieso nie harte Sachen und nur in Ausnahmefällen mal ein Glas Wein, aber sie lag auf der Couch, lasziv wie eine orientalische Haremsdame, und nippte an ihrem Cognac. Er wusste, dass das Ganze eine wohlüberlegte Inszenierung war, und konnte sich dennoch nicht verhalten. Stand in der Tür wie ein dummer Junge, der seine Standpauke erwartet.
Sie sah ihn nicht an, sondern sagte nur: »Dein Essen ist im Kühlschrank. Aber du kannst es natürlich auch wegschmeißen und essen gehen. Du kannst überhaupt alles tun, was du willst, es interessiert mich nicht mehr.«
»Bitte, Magda, lass mich dir alles erklären.«
Sie nahm erneut einen kleinen Schluck und starrte in ihr Glas, während sie sprach. »Bis heute Morgen dachte ich noch, dass ich die Frau kennenlernen will, mit der du ein Verhältnis hast. Ich wollte mich mit ihr vergleichen, wollte herausfinden, was sie hat, was ich nicht habe. Ich wollte wissen, wie sie heißt, wo sie wohnt, wie alt sie ist und wie sie aussieht. Es hat mich interessiert, was sie für einen Beruf und ob sie Humor hat. Ich wollte mir vorstellen, wie du mit ihr herumalberst und wie ihr beide es wohl miteinander treibt. Das ganze Programm, das so fürchterlich wehtut, wollte ich mir antun.« Sie lächelte und sah ihm direkt in die Augen. »Aber das ist vorbei. Ich will von der ganzen Geschichte nichts wissen und nichts hören. Meinetwegen nimm deine Sachen und zieh ganz zu ihr. Es ist mir egal.«
Johannes drehte sich wortlos um und ging in die Küche. Im Kühlschrank standen ein gebratenes Steak, ein gemischter Salat und eine Zitronencreme - alles fein säuberlich mit einer Klarsichtfolie abgedeckt.
Er rührte nichts davon an, nahm sich stattdessen ein Bier und ging in sein
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