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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Scheiben waren
verschmiert, die kleinen Papierkörbe darunter quollen über. Obwohl an den Fenstern stand, dass man sie wegen der Klimaanlage geschlossen halten sollte, waren alle offen. Die türkisfarbenen Gardinen vor den Fenstern flatterten im Wind, und es zog unerträglich.
    Magda schien es nicht zu spüren.
    Was bin ich für ein Idiot, dachte Lukas, anstatt mich um einen Job zu kümmern, sitze ich im Zug nach Rom wegen eines aussichtslosen und irrwitzigen Unterfangens. Ich bin der Schatten einer Frau, die um meinen Bruder trauert und mich gar nicht bemerkt.
    Aber so war es in seinem Leben immer gewesen. Er war und blieb die Nummer zwei, war Johannes’ kleiner Bruder und im Zweifelsfall immer der, der das Fenster zerbrochen und die Hausschlüssel verbummelt hatte. Er war schlechter in der Schule und im Sport der ewige Vierte. Er trug die Sachen seines Bruders auf, und die Mädchen interessierten sich meist dann erst für ihn, wenn sein Bruder ihnen bereits den Laufpass gegeben hatte. Johannes machte Abitur, er schaffte nur die Realschule, Johannes übernahm die Firma des Vaters, er erlernte eine »brotlose« Kunst, wie seine Mutter immer betonte, und wurde Schauspieler. Er war in Flughäfen der einzige von sämtlichen Passagieren, der regelmäßig vom Zoll herausgewunken wurde, und die Kinovorstellung war ausverkauft, wenn er nach einer halben Stunde Warten endlich an der Reihe war. Er hatte als Junge immer nur die Bücher bekommen, die Johannes schon ausgelesen, ihm mit Eselsohren hinterlassen und seine Kommentare mit Kugelschreiber hineingeschrieben hatte. Am Theater spielte er nicht in Berlin, sondern in der Provinz, und beim Fernsehen war er der Nebendarsteller. Produzenten notierten sich seinen
Namen als ausgezeichnete Charge, aber nie als Hauptdarsteller.
    So war er in seinem Leben eigentlich immer das Schlusslicht, der Verlierer jedes Duells und hatte sich schon fast damit abgefunden.
    Nur ein einziges Mal haderte er wirklich mit seinem Schicksal: Johannes hatte Magda bekommen, nicht er.
    Und jetzt war sein Bruder wie vom Erdboden verschwunden, und er saß mit seiner Traumfrau im Zug nach Rom und jagte einer Chance hinterher, die sie ihm hartnäckig verwehrte.
    Aber dann sank wenige Minuten später ihr Kopf an seine Schulter. Sie schlief fest, atmete ruhig. Und Lukas wünschte sich an keinen anderen Platz der Welt.
     
    Angekommen am Roma Termini stürzte sich Lukas gleich auf die wartenden Taxis und rief dem Fahrer, einem bärtigen Hünen, die Adresse eines der fünf Hotels zu. Hotel Rosalia in der Via Germanico. Der Hüne nickte gelangweilt und meinte: »Trenta Euro.«
    Lukas sagte »Va bene« und hob das Gepäck in den Kofferraum, aber Magda ging dazwischen. »Bist du wahnsinnig? Dreißig Euro sind Wucher, das ist viel zu viel für die Fahrt. Ich weiß ungefähr, wo das Hotel liegt. Da sind wir in zwanzig Minuten, und dafür bezahlen wir nicht dreißig Euro.«
    Der Hüne zuckte lediglich die Achseln und stellte die Reisetaschen wieder auf die Straße.
    Magda ging zu einem anderen Taxifahrer. »Via Germanico?«, fragte sie.
    »Fünfundzwanzig Euro«, meinte der Taxifahrer und trat seine Zigarette aus.

    »Nein«, sagte Magda energisch. »Zu teuer.«
    »Okay. Zwanzig.«
    »Nein. Fünfzehn.«
    Der Taxifahrer sah Magda abschätzend an. Dann grinste er. »Va bene.«
    Magda winkte Lukas, dieser hob erneut die Reisetaschen in den Kofferraum, und sie stiegen ein.
     
    Das Hotel Rosalia hatte eine ansprechende Fassade, aber die Rezeption war winzig und schäbig. Hinter dem Tresen saß ein glatzköpfiger Mann, der wenig Lust hatte, seine Zeit und Arbeitskraft an neue Gäste zu verschwenden.
    »Buongiorno«, sagte Magda und setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf, »wir hätten gern zwei Einzelzimmer. Für eine Nacht, vielleicht aber auch für zwei oder drei. Das wissen wir noch nicht so genau.«
    Der Mann knurrte nur und sah in seinem Computer nach. »Einzelzimmer haben wir gar nicht mehr, ich kann Ihnen aber ein oder zwei Doppelzimmer anbieten. Ganz wie Sie wollen.«
    Lukas sah Magda abwartend an. Er wollte ihr die Entscheidung überlassen.
    »Zwei Doppelzimmer. Va bene. Was kostet das?«
    »Jedes hundertachtzig die Nacht.«
    »Lass uns ein Zimmer nehmen, Magda«, flüsterte Lukas, »das ist doch albern. Von dem Geld, das wir sparen, können wir fantastisch essen gehen.«
    Magda reagierte darauf mit einem Blick, der ihn sofort verstummen ließ.
    »Gut. Wir nehmen die beiden Doppelzimmer.«
    »Ich hätte da noch

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