Die Totengräberin - Roman
Hauptraum mit einem langen Tresen, an dem Brötchen, Zuckerschnecken, Süßigkeiten und Zigaretten verkauft wurden und unermüdlich Kaffee gebrüht oder Alkohol ausgeschenkt wurde. Es gab einige Tische, an denen man in Ruhe frühstücken und die Morgenzeitung lesen konnte, und der Fernseher, der unter der Decke angebracht war, lief den ganzen Tag.
Im Nebenraum standen einige Spielautomaten, ein Billardtisch und ein veralteter Computer, mit dem man für drei Euro pro Stunde ins Internet gehen konnte. Außerdem gab es noch eine Toilette, die aber immer abgeschlossen war. Den Schlüssel musste man sich am Tresen holen.
Neben der Tür zum Nebenraum hing ein großes Schwarzes Brett, die Mitteilungsbörse des Ortes. Da wurden Putzhilfen, Handwerker und Babysitter gesucht, wurde nach Mitfahrgelegenheiten gefragt oder wurden Spenden für die Misericordia erbeten. Dort hingen Flugblätter mit Informationen, wann der Bäcker geschlossen hatte, das
nächste Fußballspiel stattfand oder wieder ein wohltätiges Essen veranstaltet wurde.
Topo kam um halb zehn. Den zugeklebten Din-A4-Umschlag mit dem Foto hängte er an dieses Schwarze Brett. Als Adresse hatte er groß und deutlich »Signori della Roccia« geschrieben.
Er setzte sich in die Ecke unterhalb des Fernsehers. So hatte er das Schwarze Brett gut im Blick und konnte aufpassen, dass der Umschlag nicht in falsche Hände geriet. Außerdem war er maßlos gespannt, was passieren würde, wenn Magda und ihr Begleiter den Umschlag öffneten und das Foto sahen. Sein Herz klopfte wie bei einem Biologen, der bewegungslos vor dem Terrarium sitzt, um zu beobachten, wie die Schlange die Maus verschlingt.
Er bestellte sich zwei Croissants, einen Cappuccino und ein großes Glas Mineralwasser, nahm die Tageszeitung zur Hand und wartete.
Magda und Lukas kamen zwanzig nach zehn. Da sie direkt auf den Tresen zusteuerten, bemerkten sie Topo in der Ecke nicht.
»Ich halte es nicht mehr aus«, flüsterte Magda. »Ich muss so dringend, ich platze!«
Sie stellten sich an den linken Rand des Tresens, um zuerst nach dem Toilettenschlüssel zu fragen und zwei Caffè Latte zu bestellen. Dadurch standen sie direkt neben dem Schwarzen Brett, und während Magda den Schlüssel von der Wirtin ausgehändigt bekam, bemerkte Lukas den Umschlag.
»Was soll das denn?«, fragte er ungläubig. »Hier ist ja ein Brief für uns!«
»Keine Ahnung. Mach ihn auf. Ich bin gleich zurück.«
Damit stürzte Magda in den Nebenraum und rannte Richtung Toilette.
Topo jubilierte innerlich. Das hatte ja schon mal hervorragend geklappt.
Lukas nahm den Brief und setzte sich an einen freien Tisch, unmittelbar neben der Tür. Er riss den Briefumschlag auf und zog das Foto heraus.
Der Schreck brachte ihn fast um. Er spürte, dass sein Herz aussetzte. Alles verschwamm vor seinen Augen, und in seinem Kopf begann ein Rauschen und Dröhnen, das das Stimmengewirr in der Bar vollkommen übertönte. Sein Kopf war wie ein prall gefüllter Ballon voller Insekten, die in einem geschlossenen Marmeladenglas um ihr Leben brummten. So schnell er konnte, drehte er das Foto um.
In diesem Moment brachte die Wirtin zwei Caffè Latte. Entweder hatte sie nichts gesehen oder ließ sich wirklich nichts anmerken. Jedenfalls sagte sie lediglich »Prego« und ging zurück hinter den Tresen.
In Windeseile schob Lukas das Foto zurück in den Umschlag, knickte ihn einmal, stand auf, steckte ihn sich im Rücken in die Hose, zog das T-Shirt darüber und setzte sich aufrecht wieder hin.
Sein Herz raste, und er spürte, dass er flammend rot war.
Das war deutlich. Der Mann hatte einen Schock. Wunderbar. Topo genoss seinen cleveren Schachzug, die einmalige Gelegenheit genutzt zu haben, einen brisanten Brief abzuschicken und dann auch noch beim Öffnen dabei sein und die Reaktion beobachten zu können.
Magda kam zurück und lächelte. »Jetzt geht’s mir besser.« Sie lehnte sich zurück und trank genüsslich ihren Milchkaffee. »Ein herrlicher Tag«, meinte sie. »Was ist? Wollen wir irgendetwas unternehmen? Irgendwohin fahren? Ich bin so unternehmungslustig und habe keine Lust, im Garten herumzuliegen.«
Lukas hörte zwar, was Magda sagte, aber er war nicht in der Lage zu reagieren. Das Foto seines toten Bruders stand ihm immer noch schrill und deutlich vor Augen, und er konnte keinen anderen Gedanken fassen. Allein zu überlegen, wo man hinfahren könnte, war zu viel für ihn.
Daher saß er schweigend am Tisch und starrte auf
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