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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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die Brötchen in der Vitrine. Ohne Wimpernschlag und völlig paralysiert.
     
    Topo lächelte. Er zeigte ihr den Brief also nicht. Wahrscheinlich würde er ihr das Foto auch später zu Hause nicht zeigen. So wie er sich benahm, hatte er Mühe, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu kriegen.
    Er war der Mörder. Ganz eindeutig. Und zwar der alleinige Täter. Sie war ganz sicher nicht seine Komplizin und hatte keine Ahnung, dass ihr Mann tot war. Wenn sie beide unschuldig wären, hätten sie das Foto gemeinsam angesehen und diese Ungeheuerlichkeit dann diskutiert. Hätten sofort an Ort und Stelle überlegt, ob sie mit dem Foto nicht zur Polizei gehen sollten.
    So wie dieser Mann verhielt sich nur ein Schuldiger, der einen schrecklichen Moment durchlebt, weil er begreift, dass er überführt worden ist.
     
    »Was hast du?«, flüsterte sie und legte ihre Hand auf seine.
    »Ist dir nicht gut?«

    »Doch, doch«, stotterte er, »aber mein Kreislauf ist im Moment ziemlich am Boden. Bitte, bestellst du mir noch ein Glas Wasser?«
    »Na klar.«
    Magda stand auf und kam nur Sekunden später mit dem Wasser zurück an den Tisch.
    Lukas stürzte das Wasser in einem Zug hinunter.
    »Was stand eigentlich in diesem Brief?«, fragte Magda.
    »Nichts Besonderes.« Das Wasser hatte ihm gutgetan, sein Mund war nicht mehr so trocken, und er spürte, dass sich allmählich seine innere Panik legte.
    »Eine Einladung zu einem Abendessen in San Pancrazio«, antwortete er. »Das Menü für fünfzig Euro. Der Erlös geht ans Altersheim in Bucine. Tut mir leid, aber ich hab’s gleich weggeschmissen.«
    Magda lachte. »Okay. Ich hätte auch keine Lust, da hinzugehen. Wahrscheinlich schreiben sie die Leute, von denen sie glauben, dass sie gerne essen gehen, einzeln an. Dann fühlen sich manche gepinselt, andere verpflichtet, und es kommen mehr. Kann ich mir schon vorstellen. Also, was ist? Machen wir einen Ausflug?«
    »Sei nicht böse, Magda, aber bitte nicht heute. Weil mir so mulmig ist. Da hätte ich keinen Spaß dran.« Er wollte einfach nur Zeit haben, in Ruhe über das Schreckliche, das noch unter seinem Hemd steckte, nachzudenken. Wollte überlegen, was nun zu tun war. Wollte diese unerklärliche Angst loswerden, die ihm wie eine eiskalte Hand die Kehle zuschnürte, und verstehen, was hier gespielt wurde.
     
    Topo war äußerst zufrieden. Beinah begeistert. Mit seiner kleinen klugen Aktion hatte er mehr erfahren, als es der Polizei in langwierigen Verhören je gelingen würde.

    Ein warmes Glücksgefühl durchflutete ihn. Er war einfach genial.
    Topo stand auf und trat zu Magda und Lukas an den Tisch.
    »Buongiorno«, sagte er, »wie schön, dass wir uns schon wieder über den Weg laufen. Ich wollte Sie übrigens vor ein paar Tagen besuchen, aber Sie waren nicht da.«
    »Ja, ich weiß, ich habe Ihre Visitenkarte gefunden und habe mich sehr gefreut, dass Sie es wirklich wahr gemacht haben und gekommen sind. Wir waren ein paar Tage in Rom.«
    »Oh, wie schön! War es nicht zu heiß, um eine Stadtbesichtigung zu machen?«
    »Überhaupt nicht. Ich mag diese Temperaturen.«
    Lukas stand auf. »Möchten Sie auch noch einen Caffè?«
    »Nein, danke.« Topo setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, aber ich muss los, ich habe noch eine Verabredung.«
    »Wie wär’s, wenn Sie in den nächsten Tagen einen zweiten Versuch unternehmen und noch einmal vorbeikommen? Auf ein Glas Wein? Wir sind zu Hause.«
    »Gerne, Signora, furchtbar gerne!« Er verbeugte sich leicht. »Ich freue mich. Na, dann bis später.«
    Er hatte den federleichten, aber gleichzeitig stolzen Gang eines Siegers, als er die Bar verließ.

43
    Lukas machte einen langen Spaziergang, Magda saß auf der Terrasse und las.
    Er war bis nach Moncioni gewandert und saß unter einer riesigen alten Zeder. Von dort hatte er einen weiten Blick über das Tal und atmete tief durch.
    Minutenlang starrte er auf das Foto. Sein Bruder war tot. So viel war klar. Das war kein manipuliertes Foto, das war eindeutig das Bild einer Leiche. Das Unerträglichste daran waren die Würmer, die Johannes aus den toten Augen und Nasenlöchern krochen, die zerfallenen Lippen, wie ein in der Flamme verschrumpeltes Blatt Papier, und die toten Höhlen, die einmal seine Augen gewesen waren und deren Lider leicht gezittert hatten, wenn er gut gelaunt gewesen war.
    Tränen traten Lukas in die Augen.
    Was war hier passiert?
    Es gab nur zwei Möglichkeiten: Irgendjemand

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