Die Toteninsel
Klinge.
Aeda sprang, bevor die Amazone heran war. Ihr Lachen endete abrupt, als sie ins Wasser eintauchte.
Wütend und hilflos zugleich, starrte die Kriegsherrin in die Tiefe, wo ein schäumender Fleck rasch wieder verging. Ruderschläge ertönten, aber zu erkennen war so gut wie nichts.
»Kommt zurück, Sadagar!« rief Mythor. »Noch ist nichts geschehen, was uns entzweien könnte.«
»Das wird es auch nicht«, erklang die Antwort aus dem Nebel. »Trotzdem denken wir nicht daran, umzukehren.«
»Wir müssen sie verfolgen«, sagte die Kriegsherrin.
Fronja schüttelte den Kopf.
»Wie willst du die Nykerier in der Schwärze der Nacht wiederfinden? Sie haben die Freiheit, über ihr Schicksal selbst zu bestimmen.«
*
Hin und wieder riß der Nebel auf und gab den Blick frei auf die inzwischen weit entfernte Küste. Obwohl bislang kein weiterer Angriff erfolgt war, hatte Tertish mehrere Wachtposten aufgestellt. Mitternacht mochte längst vorüber sein, als einer von ihnen die erste Veränderung meldete.
Mächtige Schatten wuchsen backbord auf, verschmolzen miteinander zu einer schier undurchdringlichen Wand und verschwanden dann wieder hinter aufwallenden, dichten Dunstschleiern.
»Land?« fragte Tertish.
Vielleicht hätte Tobar Auskunft geben könne, doch der Tatase war seit einiger Zeit verschwunden. Die Vermutung lag nahe, daß er zusammen mit den Nykeriern die Fliegende Stadt verlassen hatte.
Der Wind klang, als breche er sich in einer Vielzahl von Höhlen und brüchigem Gestein. Vergeblich versuchte Tertish, die Schwärze der Nacht zu durchdringen. Irgendwo vor ihr zeichnete sich ein Streifen heller Gischt ab, doch sie vermißte das Gurgeln und Plätschern, das man an felsigen Küsten vernehmen kann.
»Eine Fackel!«
Der Wachtposten brachte mehrere der mit Lumpen umwickelten und in Pech getränkten Hölzer. Indem er zwei Feuersteine gegeneinanderschlug, versuchte er, sie zu entzünden. Die Funken erzeugten nur ein fahles Glimmen, das rasch wieder erlosch.
»Mach schon!« forderte Tertish den Mann auf. Ein ungutes Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt. Es mochte Einbildung sein, aber auf dieser Seite erschien ihr die Nacht schwärzer.
Endlich brannte eine Fackel. Die Kriegsherrin schleuderte sie in hohem Bogen über Bord.
Im zuckenden Widerschein wurde flüchtig eine zerklüftete Felswand sichtbar. Licht und Schatten zeichneten gespenstische Konturen. Wo die auflaufende See der Finsternis entrissen wurde, war diese von einem tiefen Grün, als würden Tang und Algen einen dichten Teppich bilden.
Hatte die Strömung gedreht und Carlumen nach Tata zurückgebracht, oder war dies eine kleine, vorgelagerte Insel?
Tertish erschrak, als fast schon zum Greifen nahe schroffe Klippen aufragten. Im nächsten Moment durchlief eine heftige Erschütterung die Schwammscholle, die sich auf dieser Seite unvermittelt aus dem Wasser hob. Aber nur für die Dauer eines Herzschlags, dann klatschte sie in die Wogen zurück. Schwere Brecher rollten über das Deck. Es war eine schleimige, grüne Brühe, und an der Wehr schwappten Unmengen von Seegras empor.
Carlumen drehte sich gegen die Strömung. Mit langen Stangen versuchten etliche Krieger, sie von den Felsen fernzuhalten. Knirschend kam der Rumpf wieder frei; eine kleine Geröllawine brach von den Klippen herab. Zum Glück versanken die meisten Brocken, ohne Schaden anzurichten, im Meer. Es war poröses Tuffgestein, das Tertish mit der blanken Faust zerbrechen konnte.
Die Fliegende Stadt trieb noch immer quer vor der Strömung und wurde an Steuerbord tiefer in die Wellen gedrückt. Fackeln erloschen wieder, doch der verbleibende Schein reichte aus, Carlumen mit verwaschener Helligkeit zu umgeben.
Zu beiden Seiten ragten jetzt Felsen wie Pfeiler auf. Strudel kennzeichneten die Stelle, wo die Strömung sich vor ihnen teilte. Abermals wurde die Fliegende Stadt herumgezogen. Sie trieb zwischen den Felsen hindurch.
Dann wurde das Wasser ruhiger, die Klippen wichen einem flach verlaufenden Strand. Der Nebel war hier lichter als anderswo. Wenn man genau hinsah, konnte man am Ufer die Umrisse üppiger Vegetation erkennen.
Diese Bucht mochte der ideale Platz sein, um den Rest der Nacht abzuwarten.
5.
»Es wird noch gut fünf bis sechs Stunden dauern, bis die Helligkeit des neuen Morgens den Nebel durchdringt«, sagte Mythor. »Ich wüßte gerne mehr über unsere Umgebung.«
»Ich werde einige Krieger aussuchen und mit ihnen zusammen an Land gehen«, nickte Tertish.
Der
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