Die Toteninsel
verschütte nicht einen Tropfen davon.« Dann wandte er sich an Mythor. »Sohn des Kometen, hilf mir, den Deckel des Sarkophags abzunehmen.«
Es war geschliffener, gebänderter Stein, der trotz seiner geringen Dicke ein beachtliches Gewicht aufwies. Ein Mann allein hätte ihn niemals zur Seite heben können. Mythor war erstaunt darüber, welche Kräfte Cronim noch besaß.
Der Alte hatte seine Totenmaske abgelegt. Sein Gesicht wirkte überaus erwartungsvoll.
Ein Leinen mit dem königlichen Siegel lag über dem Leichnam ausgebreitet. Langsam bückte Cronim sich, ergriff zwei Ecken des Tuches und schlug dieses vorsichtig zurück.
Mythor hörte, wie Robbin und Gerrek überrascht aufatmeten. Nach allem, was vorangegangen war, hatte er selbst jedoch kaum etwas anderes erwartet. Fronja warf ihm einen flüchtigen Blick zu und nickte.
In dem Sarkophag ruhte keine Mumie, sondern ein etwa achtzehn Jahre alter Jüngling. Er war nicht sonderlich groß, mit gelbbrauner Haut und schwarzem Kraushaar. Taremus trug kostbare Gewänder und auf dem Kopf einen goldenen Reif, vermutlich das Zeichen seiner Prinzenwürde.
»Es sieht aus, als schliefe er nur.« Fronja streckte eine Hand aus und berührte den Jüngling. Seine Haut war steif und kalt, fast wie aus Stein gehauen.
»Der Prinz schläft tatsächlich«, sagte Cronim. »Ich besaß keine andere Wahl, als ihm vor nunmehr zweimal zehn Jahren jenes Gift einzugeben, das diese Starre auslöste. Nur so war es möglich, Taremus vor den Dunkelmächten und vor allem vor seinem besessenen Vater zu schützen. Er sollte in Sicherheit sein, bis der Tag der Entscheidung naht.« Der Totenwächter wandte sich zu Gerrek um. »Und nun, Drache, gib mir den Trank.«
Cronim benetzte die leblosen, blassen Lippen. Blutrot perlte die Flüssigkeit auf ihnen und verdunstete auf der Haut.
Erneut setzte der alte Mann den Pokal an. Diesmal öffnete sich der Mund ein wenig.
»Tatsächlich«, rief Gerrek. »Der Prinz kommt zu sich.«
Taremus schlug die Augen auf. Unstet huschte sein Blick durch das Mausoleum, bis er endlich auf dem Totenwächter haften blieb.
»Wo bin ich, Cronim, sprich? Wo ist mein Vater?« Benommen fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Was ist geschehen?« Das Sprechen fiel ihm schwer, doch allmählich kehrte Farbe in seine Wangen zurück.
»Trink erst.«
Zitternd umfaßte der Prinz den Pokal und leerte ihn mit kurzen, hastigen Schlucken. Dann richtete er sich auf.
»Ein Totenhaus?« erschrak er. »Grabbeigaben, wie sie einem König zustehen? Und wer sind diese Fremden an deiner Seite?«
Cronim hielt ihm seine Rechte hin, um ihm aus dem Sarkophag herauszuhelfen. Der Prinz stand auf schwankenden Beinen.
»Du wirst bald deine Königswürde antreten können, Taremus«, sagte der Alte. »Mythor, der Sohn des Kometen, ist gekommen, um unser Volk endlich aus der Knechtschaft zu befreien.«
»Ich…«, begann Mythor, brach jedoch sofort wieder ab. Er fühlte sich überrumpelt. Niemand hatte dem Alten das Recht gegeben, solche Versprechungen zu machen.
»Was soll’s«, raunte Fronja, die seine Empfindungen zu teilen schien.
Mythor nickte. Er hatte sein Leben dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis verschrieben. Es war unerheblich, ob er auf Tata, in der Schattenzone oder sonstwo gegen die Dämonen und ihre Helfer antrat.
*
»Zweimal zehn Jahre…« Es fiel Prinz Taremus sichtlich schwer, sich vorzustellen, daß er diesen langen Zeitraum verschlafen hatte. Immer wieder blickte er in das Bruchstück des Spiegels, das Cronim ihm gegeben hatte. Er war nicht gealtert.
Vieles hatte sich inzwischen zugetragen. Aufmerksam hörte er zu, als der Alte erzählte.
Der letzte Rest des Weines floß aus dem Krug in die Becher.
Irgendwann unterbrach Taremus den Redefluß.
»Mein Vater lebt noch?«
»Wenn du das Leben nennst, von einem Dämon beherrscht zu werden.«
Der Prinz schüttelte sich.
»Lieber tot sein.«
»Eben«, nickte Cronim. »Für die Tatasen giltst du als tot, wenngleich sich hartnäckige Gerüchte halten, du würdest eines Tages zurückkehren.«
Taremus sah Mythor unverwandt an.
»Wir beide werden unser Bestes geben, daß diese Gerüchte sich erfüllen, die Cronim ausgestreut hat.«
»Du irrst«, sagte der Totenwächter. »Ich weiß nicht, woher sie kommen.«
Eine Weile herrschte Schweigen, das Fronja schließlich brach.
»Wie gelangen wir nach Tata? Das Meer wird von Catrox beherrscht.«
»Solange ich die Totenbarke besitze und einen schmalen Wasserweg
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