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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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einen Wand teppich gebildet hatten. Er zeigte darauf und setzte sich dann neben sie, legte die gefalteten Hände auf ein Knie.
    Er erzählte von sich. »Ihr müsst wissen, dass das Glück es gut mit mir meint.« Sein Vater war bei Lord von Aston in Hertfordshire Sattler, was ihm den Besuch einer Schule ermöglicht hatte; er fiel anderen durch seine Körpergröße und Kraft auf; er besaß einen wachen Verstand … »Ihr solltet auch wissen,dass ich über eine außergewöhnliche mathematische Begabung verfüge und es mir leichtfällt, fremde Sprachen zu erlernen …«
    Schüchtern ist er nun wahrhaftig nicht, dachte Adelia amüsiert.
    Der Herr seines Vaters hatte frühzeitig die Talente des jungen Rowley Picot erkannt und ihn auf die pythagoreische Schule hier in Cambridge geschickt, wo er griechische und arabische Wissenschaften studierte. Seine dortigen Lehrer empfahlen ihn wiederum Geoffrey de Luci, dem Kanzler des Königs, wo er in Dienst genommen wurde.
    »Als Steuereintreiber?«, fragte Adelia arglos.
    »Zunächst als Schreiber in der Hofkanzlei«, sagte Sir Rowley. »Natürlich wurde dann irgendwann der König auf mich aufmerksam.«
    »Natürlich.«
    »Soll ich weitererzählen?«, wollte er wissen. »Oder sollen wir übers Wetter reden?«
    Ernüchtert sagte sie: »Ich bitte Euch, fahrt fort, Mylord. Es interessiert mich wirklich.« Warum necke ich ihn so, fragte sie sich, und das ausgerechnet heute? Weil er diesen Tag mit allem, was er tut oder sagt, für mich erträglich macht.
    O gütiger Gott, dachte sie erschrocken, ich fühle mich zu ihm hingezogen.
    Die Erkenntnis kam überfallartig, als hätte sie sich in irgendeinem dunklen, geheimen Winkel ihres Innersten angesammelt und wäre plötzlich zu groß geworden, um weiter unbemerkt zu bleiben.
Zu ihm hingezogen?
Bei dem Gedanken bekam sie weiche Knie, ihr Verstand registrierte eine Art Trunkenheit sowie Unglauben, weil es so unwahrscheinlich war, und Widerspruch, weil ihr nichts ungelegener hätte kommen können.
    Der Mann ist mir zu leicht, ganz sicher nicht, was sein Gewicht angeht, aber vom Wesen her. Irgendwas hat mich befallen, eine Art Wahnsinn, ausgelöst durch einen Garten im Frühling und seine unerwartete sanfte Freundlichkeit. Oder weil ich im Augenblick so furchtbar traurig bin. Das geht vorbei; es
muss
vorbeigehen.
    Er sprach gerade angeregt über Henry II. »… ich bin des Königs Mann für alle Fälle. Heute sein Steuereintreiber, morgen – was auch immer ich für ihn sein soll.«
    Er wandte sich ihr zu. »Wer
war
Simon aus Neapel? Was hat er gemacht?«
    »Er war …« Adelia versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. »Simon? Nun ja … er hat im Geheimen für den König von Sizilien gearbeitet, unter anderem.« Sie presste die Hände zusammen – er durfte nicht sehen, dass sie zitterten; nein, das durfte er nicht sehen. Sie konzentrierte sich: »Er hat mir einmal gesagt, er sei so etwas wie ein Arzt für das Nichtstoffliche, jemand, der zerbrochene Situationen wieder richtet.«
    »Ein Mädchen für alles. >Keine Sorge, Simon aus Neapel bringt das schon wieder in Ordnung.<«
    »Ja. Ich denke, so kann man es beschreiben.«
    Der Mann neben ihr nickte, und weil sie jetzt heftig daran interessiert war, alles über ihn zu erfahren, dämmerte ihr, dass auch er so eine Funktion hatte und dass der König von England wahrscheinlich in seinem angevinischen Französisch sagte:
»Ne vous en faites pas, Picot va tout arranger.«
    »Es ist doch eigenartig«, sagte dieser Mann für alle Fälle nun, »dass die Geschichte mit einem toten Kind ihren Anfang nimmt.«
    Ein königliches Kind, Erbe des englischen Thrones und des Reiches, das sein Vater ihm erbaut hatte. William Plantagenet,der 1153 geborene Sohn von König Henry II und Königin Eleonor von Aquitanien. Gestorben 1156.
    Rowley erklärte: »Henry hält nichts von Kreuzzügen. Verschwinde für ein Weilchen, sagt er, und schon klaut dir irgend so ein Bastard deinen Thron, während du unterwegs bist.« Er schmunzelte. »Eleonor ist da anders. Sie hat ihren ersten Gemahl auf einem Kreuzzug begleitet.«
    Und hatte eine Legende geschaffen, die noch immer in der gesamten Christenheit erzählt wurde – wenn auch nicht in den Kirchen. Adelia sah vor ihrem geistigen Auge Bilder einer barbusigen Amazone, die sich unverfroren und lasterhaft ihren Weg durch die Wüste bahnte und den armen, frommen Louis, König von Frankreich, hinter sich herzog.
    »Der kleine William war ein vorlautes Kind und hatte

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